Der Tristan-Betrug
nicht über einen Tonfall, ein kurzes Augenverdrehen, einen vage verächtlichen Gesichtsausdruck beschweren, ohne sich selbst lächerlich zu machen. Trotzdem registrierte von Schüssler solche Dinge. Ihm fiel überhaupt sehr viel auf. Und genau dieser Fähigkeit zu präziser Beobachtung und Schlussfolgerung verdankte er das hier - dies hier! -, die wichtigsten nachrichtendienstlichen Erkenntnisse, die das OKW bisher erhalten hatte.
»Ach, wirklich?«, fragte von Schüssler im fast schnurrenden Tonfall absoluter Zuversicht. »Beschäftigt!« So schilderte sie ihn immer. Das hatte nichts zu bedeuten. War er in einer Besprechung? Genehmigte er sich allein einen Schnaps? Welchen Zweck hatte es, ihn als »beschäftigt« zu beschreiben? Aus irgendeinem Grund fühlte sie sich berechtigt, von Schüssler fast grob abzufertigen. Nun, das würde sich bald ändern.
»Beschäftigt oder nicht, er wird mich sprechen wollen«, sagte von Schüssler. Er klopfte selbst an die Tür zum Arbeitszimmers des Botschafters, bevor er die polierte Messingklinke herabdrückte und eintrat. Das Arbeitszimmer war groß und prächtig, die Wände mit Holz getäfelt, der Boden mit feinsten Orientteppichen ausgelegt. Bald würde auch von Schüssler sein Büro ähnlich ausstatten können. Bisher wäre ihm das anmaßend erschienen. Aber nach dem heutigen Tag würde eine würdige Ausstattung nur angemessen wirken.
Graf von der Schulenburg saß über Akten gebeugt, die sich auf seinem Schreibtisch stapelten, hatte gerötete Augen und wirkte gelangweilt. An einer Schreibtischecke hatte er ein Glas Cognac stehen. Er sah mit zusammengekniffenen Augen in von Schüsslers Richtung. »Rudi«, fragte er hörbar irritiert, »was wollen Sie hier?«
»Ich habe etwas für Sie«, sagte von Schüssler. Sein Gesicht verzog sich zu einem Lächeln. »Etwas, das Sie interessieren wird. Sogar etwas, das den Führer selbst faszinieren wird.«
TEIL DREI
MOSKAU, AUGUST 1991
Botschafter Stephen Metcalfe trat vor den Führer des Kommandotrupps der KGB-Gruppe Alpha, der ihre Limousine angehalten hatte. Die Straße war dunkel und menschenleer, und die zum Teil baufälligen Gebäude in diesem ältesten Teil der Stadt ragten bedrohlich über ihnen auf.
»Sind Sie der Verantwortliche?«, fragte er scharf.
Der Offizier antwortete auf Russisch, überschüttete ihn mit einem Schwall amtlicher Floskeln. Auch Metcalfe wechselte ins Russische. Selbst nach einem halben Jahrhundert hatte er Alfred Corcorans Regel Nummer eins nicht vergessen: Tritt Ihnen eine Autorität gegenüber, müssen Sie immer behaupten, mit noch größerer Autorität zu sprechen. »Was fällt Ihnen ein, verdammt noch mal?«, blaffte er. »Sie müssten unser Autokennzeichen, unsere Namen haben. Gottverdammt noch mal, der KGB-Vorsitzende Wladimir Kjutschkow persönlich hat uns um unseren Besuch gebeten! Alle Kontrollstellen müssten darüber informiert sein!«
Der grimmige Gesichtsausdruck des Offiziers schlug in sichtbare Verwirrung um. Das selbstbewusste Auftreten des Amerikaners und seine würdevolle Erscheinung schüchterten selbst diesen ausgebildeten Killer ein.
»Und warum zum Teufel ist die zugesagte Motorradeskorte nicht gekommen?«, fuhr Metcalfe fort.
»Von einer Motorradeskorte weiß ich nichts!«, knurrte der in die Defensive geratene Offizier.
Metcalfe wusste, dass die meisten Nachrichtenverbindungen wegen der Krise unterbrochen waren. Der KGB-Trupp würde keine Möglichkeit haben, bei Vorgesetzten nachzufragen. Und außerdem waren Metcalfes Behauptungen zu unverschämt, um nicht geglaubt zu werden.
Wenige Augenblicke später durften Metcalfe und sein russischer Freund wieder in ihre Limousine steigen, die dann durch die Straßensperre gelotst wurde.
»Sie haben den Dreh noch immer raus«, sagte der General anerkennend. »Dabei ist's über fünfzig Jahre her. Über ein halbes Jahrhundert.« Er streckte eine Hand aus und schlug leicht auf Metcalfes Jackett, unter dem sich die klobigen Umrisse einer Pistole abzeichneten. »Sind Sie für diese Sache bereit?«
»Das weiß ich nicht«, gab Metcalfe ehrlich zu.
»Denken Sie an die alte russische Maxime«, sagte der General mit einer Stimme, die wie altes Leder knarrte.
»Das Schicksal stellt Forderungen an Fleisch und Blut. Und was fordert es am häufigsten? Fleisch und Blut.«
Kapitel Fünfundzwanzig
BERCHTESGADEN, NOVEMBER 1940
Der kleine, weißhaarige Mann stieg aus dem schwarzen Mercedes und winkte seinem Fahrer kurz zu. Er hatte klare
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