Der Tristan-Betrug
an Fleisch und Blut. Und was fordert es am häufigsten? Fleisch und Blut.<«
Kundrow stellte den Motor ab und wandte sich Metcalfe zu. Seine Augen leuchteten ebenso wild wie sein rotes Haar. »Ich fahre jetzt in meine Dienststelle zurück und schreibe einen Bericht, dass ich Sie auf der Flucht angeschossen und verletzt habe. Handelt es sich um Ausländer, gilt Mord als zulässiges letztes Mittel. Da ich Sie nicht tödlich getroffen habe, sind Sie irgendwo auf der Flucht. Ich kann die Vorlage meines Berichts noch ein paar Stunden hinauszögern, aber danach wird Ihr Name auf die Überwachungsliste der Grenztruppen gesetzt. Wollte ich mehr für Sie tun, würde ich mich selbst in Lebensgefahr bringen.«
»Sie haben schon sehr viel für mich getan«, stellte Metcalfe fest.
Kundrow sah auf seine Armbanduhr. »Sie lösen eine Fahrkarte nach Leningrad. Auf dem Bahnhof werden Sie von einem ganz gewöhnlich aussehenden Bauernpaar abgeholt, das Sie nur fragt, ob Sie Vetter Ruslan sind. Sie begrüßen die beiden, indem Sie ihnen durchaus förmlich die Hand schütteln, und gehen dann mit ihnen zu ihrem Lastwagen. Die beiden werden nicht mit Ihnen reden wollen, und Sie sollten ihre Zurückhaltung respektieren.«
»Wer sind sie?«
»Sie gehören dem Untergrund an. Gute Leute, die auf einer Kolchose arbeiten und ihre eigenen Gründe dafür haben, das zu tun, was sie tun.«
»Und was tun sie genau?«
»Sie fungieren von Zeit zu Zeit als Vermittler für eine Schmugglerorganisation, die aber nicht Ware, sondern menschliche Fracht ins Ausland schafft. Menschen, die rasch und sicher aus der Sowjetunion flüchten müssen. Die beiden bringen Sie in ein Dorf an der Grenze zu Finnland, wo andere alles Weitere übernehmen. Seien Sie sich bitte bewusst, dass diese Leute ihr Leben riskieren, um Ihres zu retten. Behandeln Sie sie freundlich, seien Sie diskret, und halten Sie sich an ihre Anweisungen. Machen Sie ihnen keine Schwierigkeiten.«
»Sie kennen diese Leute?«
»Ich weiß von ihnen. Ich bin vor langer Zeit auf sie gestoßen, habe von ihren Aktivitäten erfahren und hatte damals die Wahl. Ich konnte die Zahl der schon hingerichteten Millionen um einige weitere Leichen vergrößern . oder über sie hinwegsehen, sie ignorieren und tapfere Leute weiterhin tapfere Dinge tun lassen.«
»Sie gegen das System kämpfen zu lassen, das Sie verteidigen«, stichelte Metcalfe.
»Ich verteidige das System nicht«, wehrte Kundrow schroff ab. »Die Sowjetunion hat heute sehr wenig Helden, und sie werden immer knapper. Wir brauchen mehr von ihnen, nicht weniger. Sie müssen sich jetzt beeilen, sonst verpassen Sie den Zug. Und dann kann Sie niemand mehr retten.«
TEIL VIER
MOSKAU, AUGUST 1991
Botschafter Stephen Metcalfe fürchtete sich vor dieser Begegnung, er fürchtete sie mehr, als er sich sein Leben lang vor irgendeiner Begegnung gefürchtet hatte. Er tastete erneut nach der Pistole in der Innentasche seines Jacketts, spürte den kalten Stahl unter seinen Fingern. Dabei erinnerte er sich an die Worte seines alten russischen Freundes; Niemand kommt auch nur in seine Nähe. Er wird besser geschützt als ich. Nur Sie können zu ihm vordringen.
Mit dem alten Freund an seiner Seite und von uniformierten Wachen begleitet, ging Metcalfe den stillen, schwach beleuchteten Korridor entlang. Sie befanden sich im Kreml, dem sowjetischen Machtzentrum, das Metcalfe schon Dutzende von Malen besucht hatte. Aber innerhalb der von Wällen umgebenen Festung, die Kreml genannt wurde, gab es viele Gebäude, und in diesem speziellen Gebäude war Metcalfe noch nie gewesen. Dieses Gebäude, in dem das Präsidium des Obersten Sowjet untergebracht war, lag in der Nordostecke des Kremlkomplexes. In diesem Gebäude mit der neoklassizistischen Säulenfront war Lawrentij Berija, der Chef der sowjetischen Geheimpolizei, im Jahr 1953 verhaftet worden, als er nach Stalins Tod einen Staatsstreich versucht hatte.
Sehr passend, dachte Metcalfe grimmig. Hier in diesem Gebäude lagen die Amtsräume des Mannes, den die meisten Moskauer Insider für den mächtigsten Mann der Sowjetunion hielten, sogar mächtiger als Generalsekretär Gorbatschow -oder vielmehr mächtiger, als Gorbatschow jemals gewesen war.
Ein unauffälliger Mann von bescheidenem Auftreten namens Stepan Menilow. Ein Mann, den Metcalfe nie kennen gelernt, von dem er nur gehört hatte. Menilow war die graue Eminenz der heutigen Staatsführung: ein berufsmäßiger Apparatschik, der alle Hebel der Macht in
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