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Der Tristan-Betrug

Titel: Der Tristan-Betrug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Ludlum
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appetitlichste Leckerbissen, den er zu seinem Glück je hatte kosten dürfen, und von Schüssler war ein kultivierter Mann, der immer exzellent gespeist hatte. Manche Leute hätten ihn vielleicht korpulent genannt, aber er selbst sah sich als wohlgenährt, ein Gourmet, ein Mann, der gern gut lebte.
    In Moskau gut zu leben war jedoch nahezu unmöglich. Die Lebensmittel, die man hier - selbst über die deutsche Botschaft - bekommen konnte, waren einfach von mäßiger Qualität. Die ihm zugewiesene Wohnung jedoch, früher die Dienstwohnung eines hohen Offiziers der Roten Armee, der bei den Säuberungen hingerichtet worden war, war ziemlich geräumig. Und die Datscha draußen in Kunzewo, die ihm als Wochenendhaus diente, reichte ebenfalls aus. Er hatte den Russen einiges an Schmiergeldern zahlen müssen, um einen Mietvertrag zu bekommen, und er musste in der Botschaft die stumme Verachtung einiger weniger betuchter Kollegen ertragen, die kein ererbtes Vermögen besaßen, das ihnen spezielle Vereinbarungen mit den sowjetischen Behörden gestattete. Trotzdem hatte sich der ganze Aufwand gelohnt.
    Er hatte seine besten Möbel nach Moskau schaffen lassen, es gab hier kein brauchbares Personal, das er für seine Abendeinladungen engagieren konnte, und er hatte das Diplomatenleben in dieser trübseligen Stadt schon seit langem satt. Überall wurde ständig nur vom Krieg geredet. Und seit die Russen jetzt einen Nichtangriffspakt mit Berlin geschlossen hatten, wurde nur noch darüber gesprochen. Hätte er nicht seinen Roten Mohn gefunden, hätte die gähnende Langeweile ihn um den Verstand gebracht.
    Wie glücklich sich alles für ihn entwickelt hatte! Nein, das hatte nichts mit Glück zu tun, sondern bewies nur, was sein Vater stets gepredigt hatte: Abstammung war alles. Gute Erbanlagen - nichts war wertvoller. Er blickte mit berechtigtem Stolz auf die eigene Abstammung zurück - auf den großen Landsitz außerhalb von Berlin, seit zwei Jahrhunderten in der Familie, auf die treuen Dienste, die seine vielen illustren Vorfahren preußischen Königen und deutschen Kaisern geleistet hatten. Den Ehrenplatz nahm selbstverständlich der große preußische General Ludwig von Schüssler ein, der Held von 1848, der an der Spitze seiner Truppen die Märzrevolution niedergeschlagen hatte, während der Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV. gezögert und kapituliert hatte. Von Schüssler war sehr klar bewusst, welchem ruhmvollen Namen er Ehre machen musste.
    Bedauerlicherweise gab es immer wieder Neider, die vermuteten, er verdanke seine jetzige Stellung allein dem Namen, den er trug. Tatsächlich hatte die Art und Weise, wie seine Talente unbeachtet blieben, Rudolf von Schüssler schon oft veranlasst, mit den Zähnen zu knirschen. Er verfasste brillante und wundervoll komponierte Denkschriften, die mit Goethe-Zitaten gespickt waren, aber alle schienen unbeachtet zu verschimmeln.
    Trotzdem wurde man ohne Intelligenz, Können und Talent nicht Zweiter Sekretär der deutschen Botschaft in einer so wichtigen Hauptstadt wie Moskau. Gewiss, er verdankte seinen Posten einem alten Freund der Familie: Friedrich Werner Graf von der Schulenburg, deutscher Botschafter in Moskau und Doyen des hiesigen diplomatischen Korps. Aber um Himmels willen, das gesamte Auswärtige Amt war voller Aristokraten -man brauchte sich nur den Minister Joachim von Ribbentrop anzusehen, seinen Stellvertreter Ernst von Weizsäcker, HansBernd von Haeften oder Freiherr Konstantin von Neurath, Ribbentrops Vorgänger als Außenminister . und diese Liste ließ sich fortsetzen. Wer sonst besaß so tiefes Verständnis für die Größe, die dem deutschen Volk angeboren war - die Zivilisation, die der Welt Beethoven und Wagner, Schiller und Goethe geschenkt hatte? Die Zivilisation, die der Welt überhaupt erst Kultur gebracht hatte?
    Adolf Hitler hatte nicht das Glück, aus einer so guten Familie zu stammen, aber er hatte wenigstens eine Vision.
    Die Zuführung frischen Bluts konnte vorteilhaft sein. Auch wenn der Führer ermüdend und großsprecherisch sein konnte, wusste er zumindest die Größe des deutschen Volkes zu würdigen. Und auch wenn im Dritten Reich ständig von Volk und Volksgemeinschaft die Rede war, strebte es insgeheim nach der Legitimität, die ihm nur Aristokraten wie die Familie von Schüssler verleihen konnten.
    Aus diesem Grund verbrachte Schüssler jedes Wochenende in Kunzewo damit, seine Erinnerungen zu schreiben. Sein berühmter Ahne Ludwig von Schüssler hatte

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