Der Tristan-Betrug
dürfen.«
Milliard schüttelte den Kopf, als wolle er ihn freibekommen, dann lächelte er. »Fragt man unseren Freund, wie das Wetter ist, lässt er sich mit der Antwort Zeit, weil er erst überlegt, ob Sie das wissen müssen.«
»Moskau ist offenbar ein Sonderfall.«
»Richtig. Allein dadurch, dass Sie dieses Gebäude betreten haben, ist Ihr Name etwa einem Dutzend meiner Kollegen bekannt geworden. Natürlich sind Sie ein amerikanischer Geschäftsmann auf Moskaubesuch, sonst nichts, aber Sie besuchen mich, was einige Leute mit hochgezogenen Augenbrauen quittieren dürften.«
»Warum das?«
»Nicht so, wie Sie vielleicht denken. Ich bin nur ein Diplomat, der seine Arbeit tut, sich unauffällig verhält, aber ich gehöre keiner der verschiedenen Fraktionen an, die alle ihre eigenen Ziele verfolgen, und bin deshalb automatisch suspekt. Ich muss Sie davor warnen - obwohl ich sicher weiß, dass diese Warnung in Ihrem Fall unnötig ist, aber sehen Sie mir das nach -, mit sonst jemandem in diesem Gebäude zu reden. Niemand ist vertrauenswürdig. Dies ist das reinste Rattennest.«
»Duale Loyalitäten?«
»Dual?«, fragte Milliard spöttisch. »Wie in zwei? Da müssen Sie schon weiter zählen, mein Freund. Die hiesige Botschaft erinnert mich an Ankara oder Istanbul in den dreißiger Jahren, so wimmelt's hier von Agenten mit unterschiedlichen Zielsetzungen und Loyalitäten. Sie hat Ähnlichkeit mit dem, was man sieht, wenn man einen verrottenden Baumstamm hochhebt - Dutzende und Aberdutzende unbekannter seltsamer Wesen, die nun hektisch durcheinander rennen. Wofür ich unsere eigene Regierung verantwortlich mache: Roosevelts Weißes Haus, das seinerseits von Verwerfungen durchzogen ist. Der Präsident und seine Berater ändern ständig ihre Haltung zu Russland, sie können sich nicht auf eine einheitliche Linie festlegen und haben deshalb uns, die wir an der Front stehen, völlig widersprüchliche Signale gegeben.«
»Sie gehören doch nicht etwa zu denen, die Mr Roosevelt für eine Art Roten halten?«, fragte Metcalfe zweifelnd.
»Jetzt nicht mehr. Aber er hat Moskau seit seinem Amtsantritt jahrelang durch eine rosarote Brille gesehen - das steht außer Frage. Eine seiner ersten Amtshandlungen sollte etwas sein, das noch kein US-Präsident getan hatte, seit die Bolschies den Zaren gestürzt haben: die sowjetische Regierung formell anerkennen. Was er umgehend getan hat. Und sein wichtigster Berater, sein treuer Ratgeber Harry Hopkins . der macht uns so genannte >Russlandexperten< im diplomatischen Dienst immer schlecht, weil wir den guten alten Onkel Joe Stalin zu kritisch beurteilen. >Warum seht ihr Leute nicht auch die guten Seiten dieser Kerle?<, fragt er immer. Ich meine, um Himmels willen, sehen Sie sich doch den letzten Botschafter an, den Roosevelt hier rübergeschickt hat!«
Metcalfe nickte. Dieser Botschafter war dafür berüchtigt gewesen, dass er vor Stalin gekatzbuckelt und seine blutigen Säuberungen verteidigt hatte. »Was wollen Sie damit sagen? Dass manche Ihrer Kollegen den Russen gegenüber zu nachsichtig und selbst ein bisschen rot angehaucht sind? Oder dass es dem Kreml gelungen ist, hier richtige Spione einzuschleusen?«
Milliards Miene zeigte, dass ihm unbehaglich zumute war. Er fuhr sich mit einer molligen Hand nervös über den Haarflaum auf seiner beginnenden Glatze. »Es gibt einen Unterschied zwischen einem Spion und einem Agenten, der verdeckt Einfluss ausüben will. Ich spreche hier von Männern, die doppelte Buchführung praktizieren. Die glauben, während sie offiziell für uns arbeiten, könnten sie ihren Freunden am Roten Platz weiterhin Gefälligkeiten erweisen - ihnen Tipps geben, mit ihnen telefonieren und sogar versuchen, die amerikanische Außenpolitik von innen zu beeinflussen, um sie, sagen wir mal, Moskau gegenüber aufgeschlossener zu machen.«
»Sie können sie nennen, wie Sie wollen«, sagte Metcalfe, »aber ich nenne sie Verräter.«
Hilliard zuckte müde mit den Schultern. »Ich wollte, die Sache wäre so einfach. Männer dieser Art neigen dazu, sich vom Verhalten der Führungsspitze beeinflussen zu lassen. Und wenn Harry Hopkins und FDR sich bemühen, die amerikanischsowjetischen Beziehungen als Bollwerk gegen die Nazis auszubauen - was sie getan haben, bis Stalin sich vor zwei Monaten mit Hitler zusammengetan hat -, dann ist es für sie auf abstruse Weise vernünftig, ihren Freunden beim NKWD oder im Kreml Informationen zukommen zu lassen, stimmt's? Schließlich
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