Der Triumph der Heilerin.indd
Kameradinnen. Langsam drehte sie sich wieder dem König zu. »Und der Knabe. Der Sohn von Margaret von Anjou. Hast du auch meinen Halbbruder getötet?«
Edward sah abgezehrt wie eine Erscheinung aus. Das Geräusch des Wasserfalls war plötzlich sehr laut. »Es war notwendig. Solange einer von beiden am Leben war, war der Thron in Gefahr. Ich ... es musste sein.«
»Du hast beide getötet. Meinen Vater und meinen Bruder. Jetzt werde ich niemals erfahren, ob wir uns hätten lieben können. Ob sie mich hätten lieben können.«
Er konnte nichts sagen. Es gab nichts zu sagen.
Anne schloss ihre Augen. »Ich verstehe. Ich verstehe, warum du es tun musstest.« Das war die Wahrheit. Sie verstand es wirklich. Das Leben eines Menschen war nichts, bedeutete nichts. »Aber so kann ich nicht leben. Eines Tages könnte auch unser Sohn unbequem werden. Für dich. Oder für Elizabeth. Dieses Risiko will und kann ich nicht eingehen.«
Anne sah Edward in die Augen, sie suchte nach seiner Seele. Sie streckte ihre Hand aus und berührte ein letztes Mal das Gesicht des Königs, zeichnete die Umrisse seines Kiefers nach und folgte der Kurve seiner Lippen. Und dann küsste sie ihn, prägte sich seinen Geruch, das Gefühl seines Körpers für immer ein. Sie schmeckte Tränen, schmeckte Freude, schmeckte . das Ende.
Dann war es vorbei.
Anne drehte sich um und ging auf die Schatten zu. Sie ging zur Schwertmutter, die sie mit ausgestreckter Hand erwartete, die narbigen Finger mit schwerem Gold beladen.
Edward Plantagenet war wie versteinert. Sein Leben hatte ihn auf diesen Augenblick nicht vorbereitet.
Es war vorbei.
Auf der vom Mondlicht übergossenen Lichtung war keine weiße Gestalt. Anne war verschwunden.
Kapitel 78
Es war ein langer Weg zurück nach Herrard Great Hall, aber diesmal mietete Anne de Bohun Pferde für alle. Anne erlebte die Reise wie im Nebel: von früh bis spät reiten, dann in einem Gasthofschlafen, wenn man überhaupt von Schlafreden konnte, dann wieder reiten. Und genauso der nächste und der übernächste Tag.
Und wie es Ereignissen, die ans Herz rühren und die die Seele aufrütteln, eigen war, gab es keine Worte für das, was sie empfand. Sie musste sich ihrem Schicksal stellen und in aller Stille damit fertig werden.
Scheitern und Verlust, Scheitern und Verlust trommelten die Hufe ihres Pferdes. Und nie mehr, nie mehr, nie mehr ... Sie hätte geweint, wenn sie gekonnt hätte. Aber sie war leer, leer wie eine trockene Hülse, alle Empfindungen waren verbrannt.
Nicht ihr Stolz machte ihr zu schaffen, nicht die Scham, dass sie sich geirrt hatte. Was Anne schmerzte, war die Erkenntnis, dass sie aus eigener Kraft die Stärke, den Willen besessen hatte, sich von Edward Plantagenet abzuwenden.
Aber sie empfand auch Mitleid. Mitleid für Elizabeth Wyde-ville und den König, die ihr Lebtag in einer Ehe gefangen waren, um der Pflicht zu genügen. Mit dem Mitleid stellten sich Reue und schreckliche Schuldgefühle ein. Und das war das wahrhaft Verletzende, Demütigende. Die Schuldgefühle schmeckten nach kochendem Teer, nach einer Mischung aus geschmolzenem Eisen und Essig, die ihr die Kehle versengte, die zu ihrem Herz vordringen und sie von innen heraus verbrennen wollte.
Jane Alleswhite fürchtete sich vor dem düsteren Schweigen ihrer Herrin. Anne war plötzlich so anders geworden. Sie wirkte gehetzt und hohläugig, sie aß kaum etwas und fand weder Ruhe noch Schlaf. Vor ihren Augen zerrann sie zu einer Geistererscheinung. Sogar der träge Ralph von Dunster hatte am vergangenen Abend eine Bemerkung gemacht, ob die Herrin wohl unter Koliken litte?
Wat, der von Mathew Cuttifer die Erlaubnis erhalten hatte, mit Anne für immer nach Herrard Great Hall zu gehen, hielt sich für einfühlsamer als die übrige Dienerschaft und verkündete den Grund für ihr Befinden. Dass er recht hatte, machte ihn allerdings nicht besonders glücklich. »Sie hat ein gebrochenes Herz - das ist es.«
Jane fuhr ihm zwar über den Mund, aber trotzdem bekreuzigte sie sich ständig. Sie war nämlich der Meinung, dass Anne de Bohun in London verflucht worden sei. Im Hause Cuttifer hatte sie alle möglichen Gerüchte über ihre Herrin gehört. Ein paar Diener behaupteten, Anne von früher zu kennen, als sie noch Lady Margarets Kammerzofe gewesen sei.
Diese Leute behaupteten auch, Annes Vermögen sei durch Hexerei oder Schlimmeres entstanden, seit sie Lady Margaret mit Hilfe ihrer schwarzen Künste vor dem Tod bewahrt hatte. Corpus, der
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