Der Triumph der Heilerin.indd
residieren. Sprich!«
Armer Riccard. Hätte der sofortige Tod ihn aus seiner Qual erlöst, hätte er der Drohung des Königs nur zu gern nachgegeben, aber das sollte nicht sein. Er klappte den Mund zu, um sich des Staubs von Jahrzehnten zu erwehren, der in dem Gewebe hauste, entdeckte einen schmalen Lichtspalt und rutschte bäuchlings unter dem Teppich hervor. Er richtete sich auf und sah die schrecklichen Augen des Königs auf sich gerichtet. Im ersten Moment wollte ihm die Stimme versagen, aber dann sprudelte die Nachricht wie ein Hagelschauer aus ihm hervor.
»Der englische König, Sire, oder Graf von March, wie er jetzt heißt - er wohnt im Rittersaal des Mijnheer de Gruuthuse, Gouverneur von Holland. Der Graf ist der Gefangene des Gouverneurs, aber er weiß es nicht.«
Louis besaß auch Mitgefühl, obwohl er es selten zeigte. Also sah er weiterhin mit pfeilspitzen Blicken auf das geneigte Haupt des Riccard von Polignac und nahm von dem Blut, das vor ihm auf den Boden tropfte, keine Notiz. »Und? Noch etwas?«
Die Stimme des Boten bebte. »Ja, Sire. Aber das steht in diesem Brief, der erst entschlüsselt werden muss. Ich kann nur die groben Fakten wiedergeben.«
Mit zitternder Hand hielt Riccard ein verschlossenes Messingröhrchen hoch. Der König beugte sich vor und entriss es ihm. »Das kann ich verstehen«, schnaubte er, »einem größeren Narren bin ich selten begegnet. Aus meinen Augen! Geht!«
Die gnädige Entlassung durch den König verwirrte den armen Riccard. Er hatte gehört, dass Louis ein sehr grausamer König war und seine Lieblingsbeschäftigung darin bestünde, Gefangene in eisernen Käfigen von den Zinnen seiner Schlösser baumeln zu lassen. Dort mussten sie in Wind und Wetter ausharren, ohne Essen und Trinken, bis sie endlich tot waren und ihre Gebeine im Wind klapperten, manchmal viele Jahre lang. Riccard entfernte sich hinkend und buckelnd aus dem Raum, bevor der König seine Meinung ändern könnte.
Der König sah den Trottel eilig verschwinden und gestattete sich ein kurzes, hämisches Lächeln. Er strich über den kleinen Behälter mit der verschlüsselten Botschaft. Vielleicht konnte er jetzt endlich seinen lieben Cousin Karl in die Enge treiben. Das Schicksal des einstigen englischen Königs spielte dabei eine wichtige Rolle. Teile und herrsche, teile und herrsche, dachte Louis. Eine vernünftige Maxime, die er einem anderen Herrscher zu verdanken hatte, allerdings einem römischen Herrscher längst vergangener Zeiten. Nun musste sein Doktor Allwissend ihm nur noch die Karten legen, vielleicht konnte er sogar die Zukunft Englands voraussagen. Ja, das sollte ihm helfen, eine Entscheidung zu treffen.
Sollten die Schicksalsgöttinnen, jene drei unversöhnlichen Schwestern, tatsächlich ihn, Louis de Valois, dazu bestimmt haben, den endgültigen Niedergang des Edward Plantagenet herbeizuführen?
Er hoffte es inständig.
Kapitel 12
In den kalten Novembertagen ritten Edward Plantagenet und sein Gastgeber, Louis de Gruuthuse, auf die Hirschjagd. Sie durchstreiften ein Jagdrevier, das Louis als Gouverneur der Niederlande zum privaten Gebrauch bekommen hatte und das früher Teil des riesigen Wildreservats der Grafen von Holland gewesen war. Doch Edward war unruhig.
»Irgendetwas stimmt nicht. Das weiß ich. Warum haben wir noch nichts von Karl gehört? Schon mehr als zehn Tage sind vergangen. Mein Bote müsste ihn längst erreicht haben und wieder zurück sein. Bei dieser Kälte sind die Wege hart und gut pas sierbar.«
Die beiden Männer warteten, dass die Hunde das Wild aufspürten. Edwards Pferd scheute nervös vor einem Schatten im Unterholz zurück.
»Oh, Majestät, ich dachte, Ihr hättet ein besseres Tier bekommen!«, sagte Louis verärgert. Es war ihm ein echtes Anliegen. Der König ritt einen grauen Hengst mit gestutztem Schweif, breiter Brust und langen, feingliedrigen Beinen. Das Pferd war eher für schnellen Galopp als für schwere Lasten gebaut. Womöglich hatte er die falsche Wahl getroffen.
»Nein, das Tier ist ausgezeichnet. Es hat ein starkes Herz, ich glaube, es ist nur noch ein bisschen jung und launisch. Ich werde ihm die überschüssige Kraft schon noch austreiben.«
Louis tätschelte den gestriegelten Nacken seines eigenen Pferdes, ein stattlicher Brauner, der ruhig auf den Fortgang der Jagd wartete. »Darf ich Euch mein Pferd überlassen, Euer Gnaden? Erlaubt, dass ich ihm selbst den Übermut austreibe. Das ist das Wenigste, was ich für Euch tun
Weitere Kostenlose Bücher