Der Triumph der Heilerin.indd
kann.«
»Nein, Louis, ich komme mit ihm schon zurecht. Und ich weiß es sehr zu schätzen, dass Ihr mir solch eine vorzügliche Zerstreuung bietet. Aber meine Männer sind genauso unruhig wie ich. Die Zeit verfliegt, und das Wetter wird schlechter. Warum hat Karl uns immer noch nicht über seine Pläne informiert?«
Weit drinnen im Revier schlugen die Hunde an, was Mijnheer de Gruuthuse eine Antwort ersparte, denn die ungeduldig tänzelnden Pferde erforderten die ganze Kraft und Aufmerksamkeit ihrer Reiter.
»Kommt, Majestät, vielleicht finden wir bei unserer Rückkehr Neuigkeiten vor. Doch jetzt ...« Die Jagd war anstrengend, sie dauerte ungewöhnlich lang, und letztendlich gingen die Jäger leer aus. Der Hirsch, ein prachtvolles Tier mit mindestens zwölf Enden, rettete sich in ein Flüsschen und entkam den Hunden und der Hofgesellschaft, die Edward und seinen Gastgeber begleiteten. Der König fühlte sich dafür verantwortlich, denn er hatte die Jagdgesellschaft angeführt. Sein übernervöses Pferd hatte sich plötzlich vom Hundegebell verwirren lassen und hatte beim Überspringen eines gefällten Baumstammes gescheut, was bei seinen Hintermännern ein Durcheinander ausgelöst hatte. Just in diesem Moment war der Hirsch entkommen.
Das war ein besonders schwerer Schlag für Edward, dem das Jagdglück immer hold gewesen war. Er war sehr enttäuscht, ließ sich beim abendlichen Festmahl aber nichts anmerken.
Lachend meinte er: »Ach, Louis, mein Jagdglück hat wohl etwas gelitten nach den Schrecken der vergangenen Wochen. Der Herrscher des Waldes, Euer Rothirsch, muss weiter mit Euren Hunden rechnen - das nehme ich als gutes Zeichen für meine eigene Sache!« Louis de Gruuthuse und die anderen Höflinge an der Ehrentafel des Rittersaals stimmten in das Lachen mit ein. Insgeheim aber graute Louis vor dem Ende des Mahls. Er hatte endlich Nachricht bekommen - Nachricht, die er dem König noch übermitteln musste. »Trink, trink nur ordentlich«, sagte er zu sich selbst, »denn er brauchte Mut für das Kommende.«
Edward schlenderte zum Feuer und stellte sich neben seinen Bruder Richard von Gloucester und neben William Hastings, die sich den Rücken wärmten und mit Honig gesüßten Wein tranken. Sie befanden sich in den Privatgemächern von Louis de Gruuthuse. Die Nacht war kalt, und vor den dick verglasten Fenstern fiel der erste richtige Schnee. Edward ließ sich von seinem Gastgeber noch einmal einschenken und stieß mit dem Fuß gegen einen mächtigen Holzscheit im Kamin. Wie als Antwort auf eine Ungehörigkeit wehte ein Windstoß Funken und Rußflocken durch den Abzug. Der König drehte sich um und wischte sich den Ruß aus den Augen.
»Verdammt, Louis. Weiß denn niemand in diesem Land, wie man einen ordentlichen Kamin baut? Alles ist voller Qualm!«
»Ich kann Euch nur beistimmen, Euer Gnaden! In diesem Land gibt es einfach nicht so gute Ofenbauer wie bei Euch. Ich habe mir einen Engländer nach Brügge kommen lassen, der sämtliche Öfen in meinem neuen Haus gesetzt hat.«
»Und hoffentlich stehen wir noch vor Ablauf der Advents-zeit an unserem eigenen Kamin in der großen Halle von Westminster, Bruder!«
Edward wandte sich lächelnd seinem Bruder zu. »Welch ein vorzüglicher Gedanke, Richard. Ja, das wollen wir! Kommt, Louis, darauf lasst uns trinken. Auf London und den größten Weihnachtsbaum, den man je gesehen!«
»Amen, Euer Majestät. Möge Euer Wunsch in Erfüllung gehen!«
Ein tiefer Schluck, dem ein kräftiges Rülpsen folgte, dann ein Lachen aller vier Männer. Alles schien in diesem Augenblick möglich. Doch nur in diesem Augenblick, denn als das Lachen verstummte, trat Louis vor und reichte dem König eine Schriftrolle.
»Ich denke, Ihr solltet das lesen, Euer Gnaden. Es kam heute Abend, als wir beim Essen saßen. Ich habe es bereits gelesen.«
Ein erfreutes Lächeln machte sich auf Edwards Gesicht breit, als er nach dem Schriftstück griff. Er drehte sich zum Feuer und beugte sich ein wenig nach vorn, um mehr Licht einzufangen.
Die anderen drei Männer waren still, wie unbeteiligt, nur Richard sah verstohlen zu seinem Bruder hin. Edward verzog in den wenigen Sekunden, die es brauchte, den Brief zu lesen, keine Miene. Als er fertig war, ließ er das Velin ins Feuer fallen und sah schweigend zu, wie es sich erst kräuselte, dann schwarz wurde und verbrannte. Dann sah er seinen Gastgeber an, seine Augen lagen tief in den Höhlen, unergründlich. »Ehrliche Worte von Karl, Louis.
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