Der Triumph der Heilerin.indd
in die Flammen zu werfen.
»Oh!«
»Was ist, Mutter?«
Jacquetta starrte ihre Tochter an. Ihr Gesicht war kreidebleich. »Ich blute. Schau nur!« Sie streckte die Hand aus. Von der Wurzel des Daumens bis über den Venusberg zog sich ein tiefer Schnitt, aus dem dicke Blutstropfen quollen.
Die Königin riss die Puppe an sich. »So, so. Also doch nicht so machtlos. Schau her!« Einer der kleinen Silberdolche ragte mit der Spitze nach vorn aus dem Bauch der Puppe. Daran hatte sich die Herzogin geschnitten. »Sie soll noch nicht verbrannt werden, soll das heißen. Aber ich muss sofort Euer Blut von der Puppe abwaschen, Mutter, sonst gibt es noch ein Durcheinander.«
Jacquetta erwiderte scharf: »Gib sie mir, Elizabeth. Um unser aller Heil willen, wir müssen dieses Ding endlich verbrennen, sonst sterbe ich noch vor Angst.«
Doch Elizabeth hatte ihre Tatkraft und Entschlossenheit wiedergefunden. »Sie möchte noch nicht verbrennen, sie muss zuerst ihre Arbeit tun. Aber Euer Blut darf sie nicht an sich tragen, dafür werde ich sorgen.«
Und Elizabeth Wydeville, die entthronte Königin von England, eilte in einer Wolke aus nachtschwarzem Samt aus dem Jerusalemzimmer. Sie hatte diese Farbe bewusst als Zeichen der Trauer für ihr verlorenes Königreich gewählt. In ihrer dunklen Kleidung verschwand die Königin fast in den nächtlichen Schatten, nur ihr weißes Gesicht und ihr flatternder weißer Schleier waren noch zu sehen.
»Tochter, komm zurück. Gib mir das Ding wieder!« Aber die Königin war fort. Unerklärlicherweise ließ sich die Tür zum Jerusalemzimmer plötzlich so leicht öffnen und schließen, als seien die Angeln frisch geölt worden.
Ein altes, englisches Märchen erzählt, dass der König und die Königin des Feenlands des Nachts, als der Vollmond schien und der Wald ganz still war, mit ihrem Gefolge auf die Jagd gingen. Die Eltern mussten auf der Erde gut auf ihre Kinder aufpassen, denn der König oder die Königin, die unter dem Berg wohnten, nahmen sich manchmal ein unachtsames oder unbewachtes Kind und ritten mit ihm davon, und es ward nie mehr
Die Augen des kleinen Edward waren groß wie Suppentassen, als ihm Edward Plantagenet, der einstige König von England, diese Geschichte erzählte. »Nein. Mich nicht! Mich nicht!« Er vergrub sich tief in seine Betttücher.
»Komm, mein Kleiner. Es ist doch nur ein Märchen.« Edward kitzelte seinen Sohn durch die Bettdecke hindurch und lachte. »Die Feen achten den wahren König des Landes. Sie wissen, dass du unter seinem Schutz stehst.«
Das Köpfchen des Knaben lugte argwöhnisch unter dem Deckenberg hervor. »Wirklich?«
»Ja. Weil der König dich lieb hat. Du bist sein erstgeborener Sohn.«
Anne, die in diesem Moment das Kinderzimmer betrat, blieb erschrocken stehen. Der Knabe schlängelte sich aus den Decken und kuschelte sich in die Arme des Mannes.
»Du bist komisch. Mein Papa war doch kein König. Und jetzt erzähl mir ein anderes Märchen.«
Der König sah seinen Sohn an und lächelte. Der Kleine schmiegte sich an seine Brust und nuckelte zufrieden am Daumen. »Noch ein Märchen. Aber zuerst müssen wir Wissy fragen.«
Anne de Bohun sagte zu ihrem Sohn, ohne den König anzublicken: »Noch ein Märchen hat es schon vor einer Stunde geheißen. Jetzt ist Schlafenszeit.«
Der kleine Edward schmollte und wollte schon laut protestieren, da legte der König den Knaben unter die Decken, hielt seinen zappelnden Körper mit einer Hand fest und steckte die Betttücher zu beiden Seiten fest.
»Morgen ist auch noch ein Tag für Geschichten, und übermorgen auch.« Edward sagte das leichthin, spielerisch, doch Anne, die den beiden den Rücken zudrehte und sich am Fußende des Bettes zu schaffen machte, zog eine Grimasse. Wenn sie morgen nicht endlich etwas von Karl hörten, würde es vielleicht wirklich noch viele Tage dauern.
»Und du musst jetzt schlafen«, sagte der König. »Schlafen gibt Kraft, und die wirst du brauchen, wenn ich dir auf deinem großen, blauen Pferd das Reiten beibringen soll.«
»Nicht blau. Nicht richtig blau.« Die Worte des Knaben gingen in einem Gähnen unter. Er musterte die beiden Erwachsenen. »Küsschen? Küsschen für Edward? Bitte!« Das klang so gewinnend, dass Anne und Edward Plantagenet herzlich lachen mussten, wie alle Eltern, deren Kind etwas Entzückendes von sich gibt. Doch offiziell galt dieser Knabe nicht als ihr - oder Edwards - Sohn. Anne und der König drückten feierlich einen Kuss auf die roten
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