Der Triumph der Heilerin.indd
verweilten, und mit einem behandschuhten Finger zog er die Linie ihrer Wange nach, ihrer Nase, die Umrisse ihrer Lippen. Unwillkürlich schloss sie ihre Augen.
Die Stimme des Königs klang rau. »Ich würde ja den Handschuh ausziehen, aber es ist höllisch kalt.«
Da mussten beide lachen. Sie kicherten wie zwei närrisch Verliebte. Die Pferde stampften und versuchten, im Kreis zu gehen. Es gefiel ihnen nicht, in der Kälte zu verharren.
»Ich meinte es ernst, Edward.« Sie fasste nach seiner Hand und schmiegte ihr Gesicht hinein.
Er beugte sich seufzend vor und küsste sanft ihre Lippen. Der Kuss war kalt, dennoch entzündete er sie mit seiner Glut.
»Ich weiß. Aber ich kann dir nicht darauf antworten. Die Frage macht mir Angst.«
Sie waren zusammen, allein auf weiter Flur, und als sie sich in die Augen sahen, verebbte ihre Angst. Nur noch ihr Atmen und das Schnauben der Pferde waren zu hören.
»Wir sollten zum Hof zurück.« Annes Mund war trocken. Konnten Worte ein Schutzschild sein? Oder eine Leine, die den Ertrinkenden ans sichere Ufer zieht?
»Die Welt ist voll von Wörtern wie >sollte< und >wäre<, mein Liebling. Liebst du mich? Ist deine Liebe stark genug?«
Eine unlautere Frage, und er wusste das. »Was soll ich dir antworten? Ich denke und fühle nicht in messbaren Mengen, Edward.«
Der König glitt mit einer Hand aus seinem Reithandschuh und umfasste unter dem Mantel ihre Taille. Ihr Körper war warm, er spürte ihre Hitze durch die Kleider und nahm den fernen Duft von Rosen wahr.
»Genug heißt für mich, dem Herzen ohne Wenn und Aber zu folgen.«
Anne schüttelte den Kopf, um klarer denken zu können und nicht dem Gesang der Sirenen zu verfallen. Aber sie war innerlich zerrissen. Die Vernunft wollte sie verlassen, als er sich zu ihr hinabbeugte und die pochende Vertiefung an ihrem Hals küsste. Mit einem Mal machte er mit seinem Hengst eine Kehrtwende, hieb ihm die Sporen in die Seite und sprengte, erst im schnellen Trab, dann in einem wahnsinnigen Galopp davon, den Saumpfad hinab auf die nahe gelegene Grenzmauer zu, die ihr Anwesen umgab. Anstatt aber zu den Wirtschaftsgebäuden abzubiegen, ritt er weiter, bis er hinter einer Uferbiegung aus ihren Augen verschwand.
Anne, von Edwards Berührung und seinem Geruch irritiert, griff instinktiv in die Zügel und richtete sich im Sattel auf. Ihre Stute, die von der Nacht frisch und ausgeruht war, brauchte kein weiteres Signal. Sie tänzelte einen Moment lang, und dann galoppierte sie mit einem solchen Satz davon, dass Anne beinahe aus dem Sattel geschleudert wurde.
Es war ein gefährlicher, wilder Ritt. Der scharfe Wind übergoss ihr Gesicht mit heller Röte, und die Erregung machte sie schwindelig, als ob sie Wein getrunken hätte. Sie sah den König mit wehendem Mantel weit vor sich, mit jedem Sprung seines Pferdes wurde der Abstand zwischen ihnen größer. Aber dann, als sie sich kurz zur Seite drehte, um einem kahlen Zweig auszuweichen, war er verschwunden. Wohin?
Anne brachte die Stute zu einem bebenden Halt und drehte sich im Sattel um. Keine Spur vom König oder seinem Pferd. Sie war schon ein ganzes Stück vom Zugang zu ihrem Hof entfernt und befand sich nun in jener Flussniederung, die Deborah in ihrer Abwesenheit von der Familie Landers erworben hatte. Dort wollte sie Krokusse anbauen, wenn das Schicksal ihr gnädig war.
Sie führte das Pferd durch eine Lücke in der Hecke und kam auf einen ungepflügten Acker. Sie erinnerte sich, dass zu dem Grundstück, das sie erworben hatte, auch eine Scheune gehörte. Ja, dort war sie - und dort war auch Edwards Pferd. Angebunden stand es neben dem kleinen, rot gedeckten Gebäude und graste friedlich.
»Edward? Wir müssen zurück.« Sie rief laut und bestimmt, aber die Worte klangen dumm, kaum dass sie sie ausgesprochen hatte. Sie wollte nicht zu ihrem wirklichen Leben zurückkehren. Noch nicht.
»Komm und sieh, was ich gefunden habe.« Die Stimme des Königs klang gedämpft. Er war in der Scheune.
Jetzt war der Moment, sich zu entscheiden, der Moment, in dem sie hätte zurückreiten können. Zwei Bilder entstanden vor ihrem inneren Auge. Auf dem einen ritt sie zur Scheune, stieg ab, band die Stute neben dem Hengst an und ging hinein, dem Klang seiner Stimme folgend. Auf dem anderen Bild wendete sie ihre Stute und ritt nach Hause, ritt von ihm fort ...
»Anne? Komm und sieh.«
Der königliche Hengst hob den Kopf und begrüßte die Gefährtin mit einem Wiehern. Ausgelassen tänzelte Annes
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