Der Triumph der Heilerin.indd
ein heimeliger und praktischer Rückzugsort für Karl von Burgund, wenn er den zeremoniellen Pflichten am Hof entfliehen wollte. Ein Ort, wo er sich mit guten Freunden treffen und entspannen konnte, ohne von neugierigen Blicken belästigt zu werden. Edward hielt sein Pferd an. Er verstand genau, warum Karl sich an diesem abgelegenen Ort mit ihm treffen wollte. Und er war bestürzt, denn diese Vorsicht war kein gutes Zeichen, was seine Sache betraf.
Anne drehte sich zum König um und lächelte. Durch den duftigen Schleier schimmerten weiße Zähne. Sie beugte sich zu ihm und sagte: »Alles wird gut, Euer Majestät. Das spüre ich.«
Edward stieg ab und trat vor, um Anne aus dem Sattel zu helfen. »Seid Ihr denn eine Hexe, dass Ihr die Zukunft voraussagen könnt?«
Das war als harmloser Scherz gedacht, doch Philippe de Commynes drehte sich erschrocken um und starrte sie an. Er hatte das Wort »Hexe« gehört, und das machte ihm Angst. Über solche Dinge lachte man nicht.
In dem Lichtschein, der aus der sich öffnenden Haustür fiel, bemerkte Anne den unsicheren Blick des Mannes. Doch ihre plötzliche Angst wurde beiseitegewischt, als sie zum König hinunterblickte. Edward Plantagenet hatte seine Arme weit ausgebreitet - eine offenkundige Einladung. Sein Lächeln hätte jedes Herz zum Stocken gebracht, und er war ihr ganz und gar zugewandt.
»Komm zu mir.« Wenige Worte, aber es lag ein Versprechen in ihnen, das ihr plötzlich den Atem nahm.
Anne ließ sich in Edwards Arme hinabgleiten und stand einen Augenblick lang eng an seinen Körper geschmiegt. Doch dann spürte sie, wie sich die Muskeln in seinen Armen anspannten.
»Bruder. Ihr seid willkommen.«
Erschreckt trat Anne einen Schritt zurück, und durch diese plötzliche Bewegung rutschte ihr die Kapuze vom Kopf.
»Und Ihr auch, Lady Anne.«
Die letzten Worte hatten einen ironischen Beiklang. Anne errötete und senkte ihren Kopf, als sie vor dem Herzog knickste. Karl verneigte sich feierlich vor Edward, dann reichte er Anne die Hand und half ihr auf.
»Lady, mein Haus ist Euer. Die Freude ist umso größer, als Ihr unerwartet kommt.«
Edward lachte verhalten. »Ohne Lady Anne würde ich wahrscheinlich immer noch im Kreis herumreiten, denn es hat eine Weile gedauert, bis wir Euren Boten entdeckt haben. Bei Nacht sehen alle Wälder gleich aus.«
Karl lachte. »Was man auch von Katzen behauptet und von -« Er unterbrach sich, aber Anne wusste, was er hatte sagen wollen: »Frauen.«
Sie reckte ihr Kinn vor und schenkte dem Herzog ein strahlendes Lächeln, als dieser sie in die Jagdhütte führte. Trotzdem, die kurze Respektlosigkeit hatte sie gekränkt, und sie sah Edward an, dass er sich ebenfalls für sie gekränkt fühlte. Dieses ungehobelte Benehmen in Gegenwart einer Dame passte nicht zu Karl, vor allem, da dieser die heikle Beziehung zwischen Anne und dem König sehr wohl kannte. War diese Taktlosigkeit sein Eröffnungszug in diesem komplizierten Spiel, das ihnen bevorstand - ein Wink, dass Edward bei seinem lieben Schwager auf alles, wirklich auf alles gefasst sein musste? Die Voraussetzungen für das Spiel waren andere geworden: Karl war nicht mehr der schwächere Mitspieler.
Die Nacht war ruhig und klar, es wurde immer kälter. Bald würde sich draußen ein eisiger Nebel bilden, aus dem ein harter Frost werden würde. In der Jagdhütte jedoch herrschte eine übermäßige Hitze - nicht nur wegen des riesigen Feuers, das zu ihrer Begrüßung entfacht worden war.
Karl und Edward waren allein und saßen vor der großen Feuerstelle in der Mitte der Halle. Verglichen mit dem Rittersaal, war der Raum klein und bescheiden möbliert. Außer ein paar langen Bänken und Stühlen gab es nur einen grob gezimmerten Schrank mit Zinntellern und Bechern und an der gekalkten Wand einen einzigen Teppich - einen einfachen Woll-vorhang in erdigen Rottönen und einem dunklem Blau, der an Haken unter der Decke befestigt war. Er blähte sich auf, als ein unerwarteter Luftzug aus dem Feuer Funken hochwirbelte.
»Warum?« Jene, die Edward Plantagenet gut kannten, hät-ten, wenn sie gekonnt hätten, bei diesem Tonfall schleunigst den Raum verlassen. Er sprach beherrscht, aber unter seinen halb geschlossenen Lidern brannte ein gefährliches Leuchten. Er war sehr zornig.
Das galt aber ebenso für Karl - weil er sich schuldig fühlte und auch, wenn er ehrlich zu sich war, weil er Angst hatte. »Edward, es schmerzt mich sehr, aber ich muss Euch um Verständnis bitten. Euch
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