Der Triumph des 19. Jahrhunderts
schien die Gutmüthigkeit ihrem Gesichte wirklich eingeprägt zu sein… Die beiden Europäer, die wir auf Nuka-Hiwa trafen und welche mehrere Jahre auf dieser Insel verlebt hatten, stimmten dagegen völlig überein, daß die Bewohner höchst verdorben, barbarisch und, die Frauen nicht ausgenommen, im weitesten Sinne des Wortes Cannibalen seien; daß der Ausdruck von Fröhlichkeit und Milde, der uns so bestochen hatte, ihrem Charakter keineswegs entspreche, und nur die Furcht vor unseren Waffen nebst der Aussicht auf Gewinn sie vermocht habe, ihre wilden Triebe zu zügeln. Die Europäer schilderten uns als Augenzeugen manche Einzelheiten der entsetzlichen Scenen, welche sich unter diesem Volke und während eines Krieges fast täglich abspielen. Sie erzählten, mit welcher Gier die Barbaren über ihre Opfer herfielen, diesen den Kopf vom Rumpfe trennten, das Blut aus einer am Schädel gemachten Oeffnung aussaugten und dann ihre entsetzliche Mahlzeit abhielten.
Ich wollte zuerst nicht an diese Greuel glauben und hielt die betreffenden Berichte für maßlos übertrieben. Was ich hier wiedergebe, gründet sich jedoch auf die Aussagen jener beiden Europäer, welche mehrere Jahre lang nicht allein Zeugen solch’ abscheulicher Scenen waren, sondern dabei sogar mitwirken mußten. Uebrigens standen beide Männer einander persönlich bitter verfeindet gegenüber, und wenn sie sich uns gegenüber auch gegenseitig möglichst zu verleumden strebten, so stimmten sie doch über jenen Punkt vollkommen überein. Den Schilderungen derselben entsprachen verschiedene Anzeichen, die wir während unseres kurzen Aufenthaltes selbst beobachteten. Fast jeden Tag boten uns die Nuka-Hiwier eine Anzahl Schädel zum Verkaufe an; ihre Waffen waren alle mit Haaren geschmückt; ebenso liebten sie, die meisten Hausgeräthe mit menschlichen Gebeinen zu verzieren, und gaben durch nicht mißzuverstehende Pantomimen ihre Vorliebe für Menschenfleisch zu erkennen.«
Dieses Bild ist gewiß etwas zu sehr grau in Grau gemalt. Zwischen dem Optimismus Cook’s und Forster’s und den Aussagen der beiden Europäer, von denen Einer, ein früherer Deserteur, nicht besonders glaubwürdig erscheint, dürfte die Wahrheit wohl in der Mitte liegen.
Und haben wir vor Erreichung der heutigen raffinirten Civilisation nicht dieselben Entwicklungsphasen durchgemacht? Die Sitten unserer Ahnen werden in der Steinzeit z. B. nicht hoch über denen der heutigen Wilden in Oceanien gestanden haben.
Wir dürfen es den dortigen Vertretern des Menschengeschlechtes also keineswegs zum besonderen Vorwurfe machen, daß sie sich auch bis jetzt zu keinem höheren Standpunkte emporschwangen. Eine zusammengehörige Nation haben sie nie gebildet. In einem ungeheueren Ocean verstreut, in zahlreiche kleine Stämme zerfallen, ohne Kenntniß des Landbaues oder der Bedeutung mineralischer Bodenschätze, fast ohne Verbindung unter sich und, in Folge des Klimas, unter dem sie leben, ohne entwickelte Bedürfnisse, mußten dieselben wohl stationär bleiben und gelangten höchstens nach wenigen Seiten hin zu einigen Anfängen von Kunst oder Industrie. Und dennoch haben ihre Stoffe, Geräthe, Canots, Netze u. A. m. oft genug die Bewunderung der Reisenden erregt.
Am 18. Mai verließen die »Nadiejeda« und die »Newa« Nuka-Hiwa wieder und segelten nach den Sandwichs-Inseln, wo Krusenstern halten wollte, um sich frischen Proviant zu verschaffen, was in Nuka-Hiwa, wo er nur sieben Schweine auftreiben konnte, nicht möglich gewesen war.
Seine Erwartungen gingen freilich nicht in Erfüllung. Die Eingebornen von Owyhee oder Hawaï führten den vor der Südwestküste der Insel aufgebraßt liegenden Schiffen nur sehr wenig Proviant zu und wollten, was sie hatten, nur gegen Tuch ausliefern, ein Tauschmittel, welches Krusenstern völlig abging. Er steuerte also unverzüglich auf Kamtschatka und Japan zu, ließ aber die »Newa« vor dem Dorfe Karakakua zurück, wo Kapitän Lisianskoï sich noch verproviantiren zu können hoffte.
Am 14. Juli lief die »Nadiejeda« im Hafen von St. Peter und Paul (Petropawlowsk), der Hauptstadt von Kamtschatka, ein, wo die Mannschaft neben frischen Nahrungsmitteln endlich auch die wohlverdiente Ruhe fand. Am 30. August stachen die Russen wieder in See.
Unter fortwährenden dichten Nebeln und stürmischer Witterung suchte Krusenstern vergeblich nach einigen Inseln, welche auf einer, an Bord der von Anson weggenommenen spanischen Gallion aufgefundenen Karte verzeichnet
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