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Der Trost von Fremden

Titel: Der Trost von Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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mit dem Ellbogen das Milchkännchen umgestoßen. Als sie sich oben für den Strand umzogen, hatte sie ihn aufs Bett gezerrt und stürmisch umarmt. Sie hatte sein Gesicht geküßt und seinen Kopf an ihren Brüsten gewiegt und ihm immer wieder gesagt, wie sehr sie ihn liebe, wie sehr sie seinen Körper anbete. Sie legte ihm die Hand auf den bloßen, strammen Hintern und drückte zu. Er nuckelte an ihrer Brust und versenkte seinen Zeigefinger tief in sie. Er zog die Knie an, lutschte und kuschelte sich ein, während sie vor- und zurückschaukelte und seinen Namen wiederholte; dann hatte sie halb weinend, halb lachend gesagt: »Warum macht es einem solche Angst, jemand so sehr zu lieben? Warum ist es so beängstigend?« Aber sie blieben nicht auf dem Bett. Sie erinnerten einander an ihr Versprechen, an den Strand zu gehen, und sie rissen sich los, um die Handtücher zu packen.
    Colin lag auf dem Bauch, und Mary saß rittlings auf seinem Po und rieb ihm den Rücken mit Öl ein. Er hatte die Augen zu und den Kopf seitlich auf die Handflächen gebettet und erzählte Mary zum erstenmal davon, wie ihm Robert in den Magen geschlagen hatte. Er berichtete ohne Beschönigung und ohne Erwähnung seiner Gefühle damals oder jetzt; nur die Unterhaltung, soweit er sich an sie erinnern konnte, die Stellung, die jeder von ihnen innegehabt hatte, die genaue Abfolge der Ereignisse. Während er sprach, massierte ihm Mary den Rücken, von seinem Wirbelsäulenende an aufwärts bearbeitete die kleinen, festen Muskeln mit zusammenlaufenden Bewegungen ihrer Daumen, bis sie zu den unnachgiebigen Sehnen in seinem Nacken kam. »Das tut weh«, sagte Colin. Mary sagte: »Los. Erzähl zu Ende.« Er erzählte ihr jetzt, was Caroline bei ihrem Gehen geflüstert hatte. Hinter ihnen gewann das Stimmengemurmel der jungen Männer stetig an Lautstärke, bis es in allgemeines Gelächter ausbrach, nervös, doch gutmütig; dann sprachen die jungen Frauen leise und rasch miteinander, und wieder erfolgte allgemeines Gelächter, weniger nervös, mehr gebändigt. Hinter diesen Leuten hörte man das einlullende Geräusch von Wellen, die sich in beinahe regelmäßigen Abständen brachen, und das noch einschläferndere von Wellen, die unergründlich komplizierte Bewegungsvorgänge suggerierten, indem sie sich, was sie manchmal taten, rasch hintereinander brachen. Die Sonne dröhnte wie laute Musik. Colins Worte vernuschelten etwas, Marys Bewegungen waren weniger gewissenhaft, mehr rhythmisch. »Ich habe sie gehört«, sagte sie, als Colin fertig war.
    »Sie ist so eine Art Gefangene«, sagte Colin, und dann bestimmter: »Sie ist eine Gefangene.«
    »Ich weiß«, sagte Mary. Sie ließ die Hände auf einer Stelle ruhen, locker um Colins Nacken geschlungen, und beschrieb ihre Unterhaltung mit Caroline auf dem Balkon.
    »Warum hast du mir das nicht eher erzählt?« sagte er am Schluß.
    Mary zögerte. »Und warum hast dus mir nicht erzählt?« Sie kletterte von ihm herunter, und jeder setzte sich auf sein eigenes Handtuch, den Blick wieder aufs Meer gerichtet.
    Nach einem anhaltenden Schweigen sagte Colin: »Vielleicht verprügelt er sie.« Mary nickte. »Und trotzdem...« Er hob eine Handvoll Sand auf und ließ ihn sich auf die Zehen rieseln, »...und trotzdem schien sie ganz...« Er ließ den Satz in der Schwebe.
    »Ganz zufrieden?« sagte Mary bitter. »Alle Welt weiß, wie gern sich Frauen verprügeln lassen.«
    »Sei nicht so verdammt selbstgerecht.« Colins Heftigkeit überraschte sie beide. »Was ich sagen wollte, war, daß... sie, ja, von irgend etwas erfüllt zu sein schien.«
    »Aber ja doch«, sagte Mary. »Von Schmerzen.«
    Colin seufzte und rollte sich auf den Bauch zurück.
    Mary spitzte die Lippen und beobachtete ein paar Kinder, die im seichten Wasser spielten. »Ach, die Postkarten«, murmelte sie.
    Sie blieben eine halbe Stunde so sitzen, ihrem leichten Stirnrunzeln nach zu urteilen jeder mit seiner eigenen Version eines Streits, der schwierig zu definieren gewesen wäre. Sie wurden durch das Gefühl gehemmt, daß diese vergangenen paar Tage nichts weiter gewesen waren als eine Form des Parasitismus, ein uneingestandenes Stillschweigeabkommen unter dem Deckmantel des vielen Redens. Sie griff in ihre Tasche und holte einen Gummiring heraus, mit dem sie sich immer die Haare zu einem Pferdeschwanz zusammenband. Dann stand sie abrupt auf und ging zum Wasser. Als sie an der kleinen, lärmenden Gruppe vorbeikam, pfiffen ihr ein paar der Männer leise

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