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Der Trost von Fremden

Titel: Der Trost von Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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gemacht worden sein, ein Stückchen jenseits des Cafés.«
    Colins Bein zuckte unkontrolliert. »Ich erinnere mich nicht daran«, sagte er nach einer Pause.
    »Du schläfst ja ein«, sagte Mary. »Versuch mal, noch einen Moment wachzubleiben.«
    »Ich bin wach.«
    »Als ich heute morgen unten im Café saß, habe ich dich auf dem Balkon gesehen. Ich bin nicht draufgekommen. Dann wachte ich auf und erinnerte mich. Robert zeigte mir dieses Foto. Colin? Colin?«
    Er lag ganz still da, und sein Atem war kaum zu hören.
Acht
    Obwohl es der heißeste Tag bislang war und der Himmel direkt über ihnen mehr schwarz als blau, war das Meer, als sie es endlich über die betriebsame Allee mit den Straßencafés und Souvenirläden erreichten, ein öliges Grau, über dessen Oberfläche eine flaue Brise schmuddelige Schaumflecken schob und zerstreute. Am Wasserrand, wo sich Miniwellen auf dem strohfarbenen Sand brachen, spielten und schrien Kinder. Weiter draußen hob ab und zu ein Schwimmer in ernster Übung Arm auf Arm, doch der Großteil der Riesenmenge, die sich nach links und rechts in den Hitzedunst erstreckte, war gekommen, um sich zu sonnen. Großfamilien umsaßen Campingtische und richteten mit leuchtendgrünen Salaten und dunklen Weinflaschen einen Imbiß her. Alleinstehende Männer und Frauen legten sich auf Handtüchern flach, ihre Körper schillernd vom Öl. Transistorradios plärrten, und hin und wieder konnte man über das Geplapper der spielenden Kinder hinweg die einfallende Stimme eines Erwachsenen hören, der einen Kindernamen rief.
    Colin und Mary gingen zweihundert Meter über den heißen, schweren Sand, vorbei an einsamen Männern mit Zigaretten und Taschenbüchern, vorbei an Liebesaffären und durch ganze Haushalte mit Großeltern und schwitzenden Babies in Kinderkarren, und suchten das richtige Plätzchen, nahe am Wasser, doch nicht zu nah an den planschenden Kindern, weg vom nächsten Kofferradio und der Familie mit den zwei Energiebündeln von Schäferhunden, nicht zu dicht bei dem eingeölten Pärchen auf dem rosa Handtuch, damit man dessen Alleinsein nicht störte, und auch nicht zu dicht an dem Abfallkübel aus Beton, über dem eine dichte Wolke blauschwarzer Fliegen tanzte. Jede mögliche Lokalität wurde zumindest in einem Punkt verworfen. Eine freie Stelle war bis auf den Unrat in der Mitte brauchbar. Fünf Minuten später kehrten sie zu ihr zurück und begannen, die leeren Flaschen und Dosen und halbaufgegessenen Brotstücke zu dem Betonabfallkübel zu tragen, doch ein Mann und sein Sohn kamen mit schwarzen, vom Wasser nach hinten angeklatschten Haaren aus dem Meer gerannt und bestanden darauf, daß ihr Picknick unangetastet blieb. Colin und Mary gingen weiter und stimmten überein - dies waren die ersten Worte, die sie wechselten, seit sie aus dem Boot gestiegen waren -, daß sie eigentlich mehr an einen Strand gedacht hatten, der soweit als möglich der Ungestörtheit ihres Hotelzimmers nahekam.
    Zuletzt ließen sie sich in der Nähe von zwei Teenagern nieder, die ein kleiner Knäuel von Männern dadurch zu beeindrucken suchte, daß sie plumpe Räder schlugen und sich gegenseitig Sand in die Augen warfen. Colin und Mary breiteten ihre Handtücher nebeneinander, zogen sich bis auf die Badesachen aus und hockten sich mit dem Gesicht zum Meer hin. Ein Boot, das einen Wasserskiläufer schleppte, zog durch ihr Blickfeld und ein paar Seemöwen und ein Junge, der aus einer um den Hals gehängten Blechkiste Eis verkaufte. Zwei der jungen Männer schlugen ihrem Freund so hart auf den Arm, daß die Teenager lautstarken Protest erhoben. Sofort ließen sich alle Männer in Hufeisenform um die Mädchen aufs Gesäß fallen und stellten sich vor. Colin und Mary hielten sich mit festem Griff an den Händen und bewegten die Finger, um sich zu versichern, daß sich, trotz ihres Schweigens, jeder der Gegenwart des anderen genau bewußt war.
    Beim Frühstück hatte Mary ihre Geschichte von dem Foto wiederholt. Sie tat es ohne zu spekulieren, brachte nur die Fakten in der Reihenfolge, in der sie sich ihr präsentiert hatten. Colin nickte die ganze Zeit, erwähnte, daß er sich jetzt an letzte Nacht erinnere, befragte sie über ein, zwei Details (waren Geranientöpfe auf dem Bild? - ja; wohin fielen die Schatten? - sie konnte sich nicht erinnern), erging sich aber ebensowenig in allgemeinen Bemerkungen. Er hatte genickt und sich müde die Augen gerieben. Mary hatte ihm die Hand auf den Arm legen wollen und hatte dabei

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