Der Trotzkopf
dreist und laut. Melanie fühlte sich himmlisch wohl in dem koketten und eleganten Kostüm, das sie sich gewählt hatte. Sie stand vor dem Spiegel und putzte noch hie und da an sich herum. Und Ilse?
Sie trat als letzte herein und bei ihrem Anblick erhob sich ein so stürmisches Gelächter, daß Fräulein Güssow Mühe hatte, es zu dämmen.
»Wie siehst du aus, Mädchen?« sprach sie lachend, »komm näher, ich muß dich genau betrachten. Willst du wirklich in diesem Aufzuge spielen? Nein, Ilse, so geht es wirklich nicht. Wir müssen an deinem Kleide durchaus Verschönerungen anbringen! Du bist auch gar zu wenig eitel, sonst würdest du wohl selbst darauf gekommen sein.«
»Lassen Sie mich so!« bat Ilse inständigst, sie war ja so glücklich, ihr geliebtes Blusenkleid bei dieser Gelegenheit tragen zu dürfen. Sie war aus demselben herausgewachsen, zu eng und zu kurz war es geworden, natürlich erhöhte dieser Mangel noch den komischen Eindruck.
»Nein, Kind, unmöglich! Du siehst wie eine Bettlerin aus. Der Aermel darf nicht ausgerissen sein, der schlechte Gürtel muß durch einen neuen ersetzt werden, um den Hals wirst du einen Matrosenkragen legen und die fürchterlichen Stiefel laß vor allen Dingen blank putzen. Dann wird es gehen. Man darf nicht übertreiben,« fügte sie hinzu, als Ilse ein etwas betrübtes Gesicht machte, »stets muß das richtige Maß inne gehalten werden. Auch die Locken dürfen dir nicht so wirr über die Augen fallen, du kannst ja kaum sehen. Vergiß nicht, daß du die Tochter einer Baronin bist, dein Anzug darf verwildert, aber nicht zerrissen sein.«
»Wollen wir nicht anfangen?« trieb Miß Lead, die sich mit ihren Künstlerinnen ebenfalls zur Hauptprobe eingestellt hatte. Sie war schon etwas ungeduldig bei der genauen Musterung der Kostüme geworden und fand es höchst überflüssig, daß Fräulein Güssow überhaupt Wert darauf legte. Die Hauptsache war nach ihrer Meinung die vollständige Beherrschung der fremden Sprache, und daß die Mädchen ihre Rollen gut gelernt hatten, alles andre war Nebensache. Viel Gesten litt sie um keinen Preis, wollte ja eine Mitspielende es wagen, sich frei und natürlich zu bewegen, geriet sie förmlich außer sich und rief: »Ruhe! Ruhe! Wo bleibt die Plastik?«
Wie es fast immer der Fall ist, so war es auch hier; die Hauptprobe fiel herzlich schlecht aus. Die Mädchen waren schon aufgeregt in Erwartung des nächsten Tages und wurden es noch mehr durch die Ungeduld von Miß Lead, die heftig erklärte, daß sie es für das beste halte, wenn die ganze Theateridee aufgegeben werde. Das französische Stück fand sie entsetzlich und sie gab Fräulein Güssow den guten Rat, es nicht aufführen zu lassen. »Ich bitte Sie,« rief sie aus, »es handelt sich um eine Liebesgeschichte! Das wird den größten Anstoß erregen!«
Fräulein Güssow setzte der Engländerin lächelnd auseinander, daß nicht Kinder, sondern erwachsene Mädchen das Stück aufführten. »Die Liebesgeschichte,« wandte sie ein, »ist nur eine harmlose Nebensache, es handelt sich hauptsächlich um die Heilung eines widerspenstigen Mädchens.«
Miß Lead schüttelte mißbilligend den Kopf, sie wollte sich nicht davon überzeugen. »Ilse wird Ihnen, wenn Sie wirklich auf Ihrem Vorsatz bestehen, alles verderben. Wie sieht sie aus, und wie spielt sie? Plump, ohne jeden Anstand! Das Podium der kleinen Bühne erdröhnt förmlich bei ihren furchtbaren Schritten, ihre Bewegungen sind frei und keck.«
Fräulein Güssow schwieg zu diesem harten, ungerechten Urteil. Sie hatte es längst aufgegeben, die Engländerin von ihrem Vorurteile zu heilen. Starr hielt dieselbe daran fest. Ilse war und blieb ihr ein Dorn im Auge.
Miß Lead hatte sich geirrt. Am nächsten Abend ging alles über Erwarten gut. Der glänzend erhellte Saal, die festlich versammelte Gesellschaft brachten eine belebende Stimmung unter das junge Volk. Die ganze Festlichkeit leitete ein Prolog ein, den eine Schülerin der ersten Klasse gedichtet hatte. Sie trug ihn selbst recht hübsch vor und erntete wohlverdienten Beifall. Nur Flora, die hinter den Kulissen stand, zuckte die Achseln. »Kein Schwung, keine Poesie und kein Talent!« lautete ihr kritischer Ausspruch.
Die Aufführung des englischen Stückes ging vorüber, glatt, reizlos und langweilig. Und wenn die Anwesenden sich dies in ihrem Innern auch einstimmig eingestanden, so waren sie doch am Ende des Stückes mit Beifallsspenden nicht sparsam. Die
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