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Der Trotzkopf

Der Trotzkopf

Titel: Der Trotzkopf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emmy von Rhoden
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hielt, trat Frau Gontrau schnell auf denselben zu, um ihren kleinen Gast in Empfang zu nehmen. Als das erwachsene Mädchen dafür ausstieg und Leo den Irrtum erklärte, nahm sie dasselbe lachend in den Arm. 
    »Ob groß, ob klein,« sagte sie mit Wärme, »Sie sind mir von Herzen willkommen!« 
    Und sie führte Ilse in das Speisezimmer, in welchem sich der Landrat befand. Er saß in halbliegender Stellung auf dem Sofa und streckte dem jungen Mädchen beide Hände entgegen. 
    »Das ist eine kostbare Ueberraschung!« rief er aus, »eine kostbare Ueberraschung! Anstatt des Kindes kommt eine junge Dame an! Hat uns Freund Macket mit Absicht getäuscht?« 
    Ilse lachte und zeigte die weißen Zähne. 
    »Wie Sie dem Papa ähnlich sehen!« fuhr er lebhaft fort, »derselbe Mund, die Zähne, das Kinn, es ist auffallend!« Er schob die Lampe näher zu ihr, damit er sie noch besser betrachten könne. »Das Haar haben Sie von der Mutter geerbt, auch die braunen Augen, das heißt nur in Farbe und Schnitt. Der Ausdruck der Ihrigen ist lebhafter, er verrät nicht das sanfte Taubengemüt der seligen Mama. Können Sie zornig blicken?« fragte er scherzend. 
    »Aber lieber Mann,« unterbrach ihn Frau Gontrau lachend, »erst stellst du ein peinliches Examen mit dem Aeußeren unsres lieben Gastes an, nun gehst du auch noch auf die Charaktereigenschaften über! – Kommen Sie, liebes Kind, ich will Sie erlösen. Ich werde Sie auf Ihr Zimmer führen, damit Sie sich von der langen Reise etwas erfrischen können. Ich habe Sie dicht neben mein Schlafzimmer einquartiert, die Fremdenzimmer liegen eine Treppe höher, und ich dachte, die Kleine fürchte sich, allein dort zu schlafen.« 
    »O wie reizend!« rief Ilse kindlich erfreut und verriet, daß sie im Punkte der Furcht noch ganz wie ein richtiges Kind empfand. 
    »Leo,« redete der Amtsrat den Sohn an, als die Damen das Zimmer verlassen hatten, »ist sie nicht ein reizendes Kind?« 
    Der Angeredete schien sehr vertieft in seiner Zeitungslektüre, wenigstens mußte der Vater noch einmal die Frage wiederholen, bevor er eine Antwort erhielt. 
    »Ja, ja,« gab er gleichgültig zur Antwort, »sie ist ein ganz netter, kleiner Backfisch!« 
    »Netter Backfisch! Ist das ein Ausdruck für ein so liebliches Wesen! Hast du denn gar keine Augen im Kopfe? Ich sage dir, Temperament steckt in dem ›kleinen Backfisch‹, mehr als du dir träumen läßt! Ein Blick und ich weiß Bescheid! Du hast kein Urteil, mein Junge, darin ist dein Vater dir über!« 
    Leo gab keine Antwort darauf und las andächtig weiter. 
    Die Abendstunden entschwanden in Frohsinn und Heiterkeit. Ilse plauderte und erzählte ganz ohne Scheu. Sie fühlte sich heimisch bei den lieben Menschen. Der Landrat liebte es, sie zu necken, und sie verstand seinen Scherz. 
    »Bleiben Sie einige Tage hier,« redete er ihr zu, »die Zeit ist so kurz bis morgen mittag. Wir telegraphieren den Eltern, daß wir Sie hier behielten, sie werden nicht böse darüber sein.« 
    Leo warf einen schnellen Blick zu Ilse hinüber, der fast wie eine Bitte aussah, auch erbot er sich, ganz früh am andern Morgen nach dem Stationsgebäude zu reiten, um ein Telegramm aufzugeben. Frau Gontrau unterstützte die Bitte ihres Mannes mit großer Wärme. 
    »Es wäre eine große Freude für uns, wenn Sie blieben,« sagte sie, »es fehlt uns ein frisches Element in unsrem Hause. Sie haben die glückliche Gabe, Leben und Frohsinn um sich zu verbreiten!« 
    »Bitte, bitte, quälen Sie mich nicht,« bat Ilse, »ich kann nicht bleiben! Ich kann es nicht, so reizend es mir auch hier gefällt! Meine Eltern erwarten mich morgen und ich habe auch große Sehnsucht nach ihnen und auf den kleinen Bruder freue ich mich furchtbar! Er weiß noch gar nicht, daß er eine große Schwester hat!« 
    Dagegen war nichts einzuwenden. Ilses Antwort war so echt kindlich und natürlich. 
    Frau Gontrau strich ihr die krausen Locken zurück und klopfte ihr leicht die Wange. 
    »Sie haben recht, liebe Kleine, Ihren Entschluß nicht zu ändern. Wir wollen auch gar nicht weiter in Sie dringen mit unsren Bitten. Besuchen 
    Sie uns bald auf längere Zeit, Leo verläßt uns in einigen Wochen und dann ist es einsam in unsrem großen Hause.« 
    »Daraus wird doch nichts!« erklärte der Landrat. »Ich kenne meinen Freund Macket und weiß, daß er so bald sein Töchterchen nicht wieder fortgiebt. Halt, da fällt mir ein guter Gedanke ein! In seinem letzten Briefe ladet der Papa uns zum

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