Der Trotzkopf
Dieser Unfall ist denn auch an meiner Verspätung schuld, die ich von ganzem Herzen bedaure, doppelt bedaure, da sie Ihnen Sorge und Kummer bereitet hat. Mama hatte sich so darauf gefreut, ›die Kleine‹ in Empfang nehmen zu können! Ja, ja, ›die Kleine‹,« wiederholte er und amüsierte sich über ihr verwundertes Gesicht. »Ihr Herr Papa trägt die Schuld an dem Irrtum, in dem wir befangen waren. Er sprach in seinen Briefen nur von seiner ›Kleinen‹, oder von ›seinem Kinde‹, das er allein und schutzlos die weite Reise machen lassen müsse, er fürchtete, daß dem ›kleinen Mädchen‹, das die Pension verließ, etwas zustoßen könne. Natürlich erwarteten wir nun auch ein Kind, so ein halberwachsenes Mädchen von zwölf, höchstens dreizehn Jahren.«
»Nein, aber der Papa!« rief Ilse und lachte, aber nicht so frisch und frei wie gewöhnlich, es klang etwas gezwungen. Es war ihr nicht ganz angenehm, daß der Papa noch eine so kindliche Meinung von ihr hatte. »Papa ist zu komisch! Er hält mich noch immer für die halberwachsene Ilse! Wie wird er sich wundern, wenn er mich wiedersieht! Mit siebzehn Jahren ist man kein Kind mehr, nicht einmal ein Backfisch!«
»Bewahre!« stimmte der Assessor ihr bei, »mit siebzehn Jahren ist ein junges Mädchen eine vollendete Dame.«
Es kam halb wie leichter Spott heraus, aber er machte ein ganz ernstes Gesicht und verzog keine Miene. So glaubte sie denn mit Stolz an die »vollendete« Dame.
Nur ihr Handgepäck nahm Ilse mit hinaus nach Lindenhof, dasselbe war schon in dem Wagen untergebracht, den Korb mit den Blumen stellte der Kutscher eben hinein.
»Die vielen Sträuße!« bemerkte Leo Gontrau und diesmal lächelte er wirklich etwas. »Der Korb muß Ihnen doch eine Last gewesen sein?«
»O nein, nein!« sprach sie eifrig dagegen, »es sind ja lauter Abschiedsgrüße von meinen Freundinnen!«
»So viele Freundinnen!« meinte er und sah in den Korb.
»Es sind sieben Sträuße,« belehrte ihn Ilse, die nämlich glaubte, er wolle dieselben zählen.
»Sie waren schön,« meinte er, »jetzt sind sie schon etwas welk. Nur dieser Rosenstrauß mit der Vergißmeinnichteinfassung ist noch frisch.«
Ilse ergriff denselben und beugte ihr Antlitz darauf. Eine augenblickliche Rührung überkam sie, als sie der Geberin gedachte.
»Ich habe ihn von meiner liebsten Freundin,« sagte sie innig – »von Nellie Grey.«
»Nellie Grey?« fragte er. »Wohl eine Engländerin? Ist sie hübsch und liebenswürdig?« setzte er scherzend hinzu.
»Sie ist reizend!« rief Ilse und geriet förmlich in Feuer, als sie von der Freundin erzählte.
Er hörte ihr stillschweigend zu und amüsierte sich über die Begeisterung, mit der sie lobte, und besonders über die überschwenglichen Ausdrücke, die dabei ihren Lippen entschlüpften. Sie wußte es gar nicht, wie sehr sie sich Melanies Angewohnheit zu eigen gemacht hatte und wie Ausrufe, als: furchtbar reizend! himmlisch! entzückend! süß! u. s. w. u. s. w. ihr ebenso geläufig waren als Melanie und den übrigen Backfischen.
»Wollen Sie nicht erst im Bahnhofsgebäude eine kleine Erfrischung einnehmen?« fragte Leo und bot ihr den Arm, um sie dorthin zu führen.
Dankend lehnte sie sein Anerbieten ab, trotzdem sie es eigentlich gern angenommen hätte. Sie war nämlich hungrig und ihr Magen trug rechtes Verlangen nach einem kräftigen Imbiß. Eine vollendete Dame aber durfte den Hunger nicht merken lassen, es wäre doch geradezu kindisch gewesen.
»Es ist kühl,« bemerkte er, als er ihr in den Wagen geholfen, »und mein Auftrag lautet: Hülle ›das Kind‹ gut ein, damit es sich nicht erkältet in der halboffenen Chaise.« Und er nahm ein warmes Tuch, das schon bereit lag, und wickelte sie fest darin ein, auch eine Decke schlug er um ihre Füße.
Sie ließ es gern geschehen, denn der Herbstwind pfiff kalt über die leeren Felder; sie lachte sogar über seine Fürsorge; aber hinterher kamen die Bedenken. War es recht, daß sie sich von ihm einhüllen ließ? War es nicht eine Vertraulichkeit, die sie gestattet hatte? Würde Fräulein Güssow ihr Benehmen schicklich finden? Ob Nellie wohl so gehandelt haben würde, wie sie, oder ob sie nicht lieber ihren Regenmantel angezogen hätte! Sie konnte es auch thun, er lag im Riemen geschnallt dicht bei ihr.
Mitten in ihren peinlichen Zweifeln und Sorgen vernahm sie ein herzliches Lachen ihres Nachbars. Natürlich brachte sie es sofort mit ihren
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