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Der Tschernobyl Virus

Der Tschernobyl Virus

Titel: Der Tschernobyl Virus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thorsten Huehne
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auf einen Tisch mit Schutzkitteln, Mundschutz, Kunststoff-Schutzhauben und Handschuhen. »Zweifellos ist das Virus schon längst tot, doch wir dürfen kein Risiko eingehen«, sagte er, als er seinen eigenen Schutzkittel und den Mundschutz anzog. Als alle vollständige Schutzkleidung trugen, schob Collins die Doppeltür auf und betrat mit seinen beiden Besuchern im Schlepptau den Obduktionssaal. Abgesehen vom Spülbecken, einem Abfalleimer und dem Sektionstisch befand sich in dem weiß gekachelten Raum nur noch ein einziges weiteres Möbelstück: eine schwere Rolltrage aus Metall. Eine Frau lag nackt auf dem Rücken, die schwarzen Augen starr zur Decke gerichtet. Sie war klein und hatte ein wenig Übergewicht. Ihre olivfarbene Haut und ihr dichtes Schamhaar passten zu ihrer vermutlich südeuropäischen Herkunft. Ihr langes Haar hing auf die Metalltrage herab, sodass entlang ihres Haaransatzes die Ränder des Schnittes frei lagen, der durch das Aufsägen des Schädels entstanden war, als man ihr das Gehirn entnommen hatte. Oberhalb ihrer Brüste begann ein tiefer, y-förmiger Schnitt, der sich den Bauch hinab bis zu ihrem Nabel zog. An den Schnitträndern warf die Haut Falten. Es wirkte, als könnten sie jeden Augenblick zur Seite rutschen wie bei einer Jacke im Wind, deren Reißverschluss offen steht. Ihr jugendliches Alter erschütterte Koch mehr als die Verstümmelungen, welche die Arbeit des Pathologen mit sich brachte. Koch glaubte nicht, dass ihre Teenagerjahre schon sehr lange zurücklagen. >Was für eine verdammte Verschwendung<, dachte er.
    »Sehen wir uns ihre Brust an.« Er drehte sich zur Seite, stolperte und stürzte gegen die Trage. Koch packte ihn und hielt ihn am Arm fest. »Ist alles in Ordnung mit Ihnen?«
    »Ich bin nur ein bisschen ungeschickt.« Collins grinste. »Deswegen bin ich auch aus dem Neurochirurgie-Kurs geflogen.« Er drückte sich hoch und trat neben den Bauch der Leiche. Mit beiden Händen klappte er die Haut entlang des Schnitts zurück, als öffne er ein Zelt. Die Organe waren entnommen worden, und der Brustkorb war so leer, dass man die Erhebungen der Wirbel sehen konnte, die sich auf der Unterseite abzeichneten. Er deutete auf eine glatte, schimmernde Fläche, die die Brust vom Bauchbereich trennte. »Sehen Sie sich das Zwerchfell und die Brustwand an.« Noch immer klebten Blutklumpen und gelb grüner Eiter am Zwerchfell und der Innenseite der Brust. Auf der linken Seite waren es mehr als auf der rechten. Es sah aus wie die Haut auf einem Eimer Farbe, den man hätte offen stehen lassen. »Sie hatte ein großes Empyem, Eiter sammelte sich zwischen ihren bereits vollen Lungen und der Brustwand«, sagte Collins. »Als ich den ersten Brustschnitt ansetzte, spritzte das Zeug heraus und traf meinen Untersuchungskittel, als hatte jemand einen Gartenschlauch aufgedreht. Es müssen sich vier oder fünf Liter in ihrer Brust befunden haben, und glauben Sie mir, das ist eine gewaltige Menge.«
    Koch konnte es sich vorstellen. Er hatte dasselbe Phänomen erlebt, als er bei lebenden Patienten Thorax-Drainagen angelegt hatte, doch er blickte Collins fragend an. »Ein Empyem? Das ist ungewöhnlich bei einer viralen Lungenentzündung.«
    »Ich weiß«, sagte Collins. »Aber bei der Leiche zuvor war es genauso.«
    »Dr. Collins«, sagte Koch, »können Sie uns sagen, wie lange sie im Wasser war?«
    »Nicht lange.« Collins fuhr mit dem Finger über ihre Arme und Beine. »Sehen Sie das? Keine Schorfbildung, was bei diesen Temperaturen nach zwölf bis vierundzwanzig Stunden der Fall sein würde. Und sie hat keine Kratzer durch Baumstämme oder Bissspuren, wie wir sie nach vierundzwanzig Stunden oft sehen.«
    »Bissspuren?«, fragte Koch.
    »Bisse von Fischen«, sagte Collins nonchalant.
    Marie ließ sich keine Reaktion anmerken. »Sie wurde gestern bei Tagesanbruch gefunden. Das bedeutet, dass sie wahrscheinlich früh am selben Morgen oder spät am Abend zuvor in den Fluss gefallen war.«
    »Ja. Ich habe angegeben, dass der Todeszeitpunkt wohl zwischen Mitternacht und zwei Uhr morgens liegt.« Er drehte sich von der Leiche weg und ging in Richtung Tür. »Kommen Sie, ich möchte Ihnen die Lunge zeigen. Ich habe sie im Raum nebenan.«
    Collins stolperte, als er auf die Tür zuging. Etwa einen Meter von der Wand entfernt knickten seine Beine ein. Er fiel auf die Knie. Er griff nach dem Spülbecken an der Wand vor ihm, doch sein Arm war nicht lang genug. Er stürzte nach vorn und schlug mit dem Kopf laut

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