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Der Tuchhändler (German Edition)

Der Tuchhändler (German Edition)

Titel: Der Tuchhändler (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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allen Räumen gespielt. Warum sollte ich hier Angst haben. Nein. Dort drüben – das ist etwas anderes. Dort würde ich mich ängstigen.«
    »Es hat uns niemand angesprochen«, sagte ich, um die Begegnung zu beenden. »Und meinetwegen können sich die Geister dort gegenseitig auf die Zehen treten,solange sie nur genug Platz machen für die Gäste, die wir dort unterbringen möchten.«
    Er lehnte sich zurück. Sein Lächeln wurde breiter
    – und seine Augen noch ein wenig kälter?
    und er sagte: »Nun, nichts für ungut, Herr Meinhard.«
    »Bernward«, sagte ich unwillkürlich.
    »Ach, entschuldigt«, sagte er und blickte mir intensiv in die Augen. »Wie konnte ich Euren Namen vergessen?«
    »Macht nichts«, brummte ich. »Lebt wohl, Herr Leutgeb.«
    »Lebt wohl«, antwortete er. Er blieb mit den beiden Frauen vor seiner Tür stehen, als wir weitergingen. Ich sah mich nicht mehr um, bis wir in die untere Gasse einbogen und aus seinem Sichtfeld verschwanden, aber ich spürte die ganze Zeit über seinen brennenden Blick in meinem Rücken, und ich wußte ganz genau: Wenn ich mich umgedreht hätte, bevor wir die Ländgasse verließen, wäre er noch immer vor der Tür seines Hauses gestanden, die Hände vor seinem Bauch gefaltet und die breiten Schultern vom Alter nach vorne gekrümmt, und seine hellen Augen hätten unter dem vorspringenden Felsmassiv seiner gefurchten Stirn hervor Blitze nach mir geschleudert.
    Plötzlich wünschte ich, ich hätte besser auf seine Worte geachtet, anstatt seine Gesichtszüge zu studieren und auf das allzu perfekt wirkende Bayrisch, das er sprach. Mir schien, als hätte nicht alles, was er gesagt hatte, dem Bild entsprochen, das er hatte darstellen wollen. Ich versuchte, alle Gedanken aus meinem Kopf zu verbannen, um den Wortlaut seiner Rede wieder zu erinnern, aber es war vergeblich. Sie war an mein Ohr, aber nicht an mein Gehirn gedrungen. Ich gab es auf.
    Vielleicht hatte es mich nur befremdet, daß er scheinbar keine Notiz von meinem in allen Farben prangenden Gesicht genommen hatte.
    Ich suchte zur vereinbarten Stunde meinen Spitzel, den Flößer, auf. Wenn die Bewohner das Haus irgendwann seit gestern nachmittag aufgegeben hatten, mußte er es bemerkt haben. Aber er hatte niemanden gesehen, der es verließ, und niemanden, der hineingegangen war. Wohin waren die Leute verschwunden?
    »Da Ihr mich fragt, nehme ich an, daß Eure Tochter nicht zu Hause ist«, sagte er, und ich starrte ihn einen Augenblick völlig verwirrt an und hatte keine Ahnung, wovon er sprach.
    »Entschuldigt«, sagte er, als er meine Verwirrung bemerkte. »Ich habe mir sagen lassen, daß sich in dem alten Gebäude wohl manchmal Liebespaare treffen, und da Ihr nicht sagen wolltet, weswegen Ihr einen Wächter vor dem Haus braucht, habe ich mir selbst Gedanken gemacht. Ich nehme also an, es handelt sich um Eure Tochter.«
    »Nein«, stieß ich heftig hervor, noch immer zu überrascht, um klar zu denken.
    »Das tut mir leid«, sagte er und zögerte dann einen winzigen Augenblick. »Etwa Eure Frau?«
    Ich glotzte ihn entgeistert an; ich machte den Mund auf, ohne ein Wort hervorzubringen. Plötzlich wurde er rot und schlug die Augen nieder.
    »Ich bin ein alter Mann«, erklärte er. »Ich bin es gewohnt, ehrlich zu sein. Ich wollte Euch jedoch nicht verletzen.« Er wischte sich mit dem Ärmel über die Nase und sah mir dann wieder in die Augen. »Wie auch immer, ich muß wissen, woran ich bin. Wißt Ihr, ich glaube nicht, daß ich zu Eurer Zufriedenheit arbeiten kann, wenn ich keine Ahnung davon habe, was eigentlich vorgeht.«
    Ich mußte dem alten Flößer etwas antworten.
    »Es ist mein Mündel«, sagte ich widerwillig und wußte nicht, wie ich darauf gekommen war. Vielleicht wollte ich nicht, daß meine Töchter oder meine verstorbene Frau in diese Angelegenheit gezogen wurden; obwohl keine davon noch in meiner Nähe weilte.
    »Wie sieht sie aus?« fragte er.
    Ich griff mir an die Stirn und brachte eine Beschreibung zusammen, von der ich hoffte, daß sie auf niemanden zutraf.
    Er nickte.
    »Ich werde aufpassen. Verlaßt Euch auf mich. Und ich hoffe, daß Euer Gesicht bald verheilt. Seid Ihr gestürzt?«
    Ich verließ ihn, noch immer verwirrt. Es machte mir beinahe Mühe, die Gedanken an den alten Mann beiseite zu schieben, aber ich hatte an Wichtigeres zu denken. Er würde auf das Haus aufpassen, das war alles, was zählte. Trotzdem war ich wütend, auf ihn und auch auf mich selbst, und aus keinem anderen Grund als

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