Der Tuchhändler (German Edition)
der Stadt Landshut gemacht; aber er hat niemals auch nur versucht, die vertriebenen Überreste von seines Bruders Familie zu finden und zu unterstützen. Er hat sie gnadenlos verkommen lassen, wo immer sie sich auch hingeflüchtet haben mögen. Dieser Makel hat schon an Wolf gangs Vater gezehrt, der ein stiller, nachdenklicher Mensch gewesen ist, und seinen Sohn scheint er vollends aufzufressen. Es ist schon erstaunlich, daß sich immer diejenigen ein schlechtes Gewissen machen, die gar nichts dafür können.«
»Ihr habt mir geholfen«, sagte ich und stürzte den zweiten Schnaps hinunter. Ich drückte ihm das leere Glas in die Hand. »Ich danke Euch. Auch für Eure Gastfreundschaft. «
»Jederzeit wieder«, sagte er mit einem Achselzucken.
Ich verließ sein Haus; aber anstatt in die Altstadt zurückzukehren, begab ich mich wieder in die Ländgasse. Mein Herz begann lauter zu schlagen, als ich den Weg zu Reckeis altem Haus einschlug. Wie immer befanden sich kaum Menschen in der Gasse; der aufgeweichte Boden vertrieb die meisten Passanten in die gepflasterte Altstadt. Ich ging langsam an den beiden Häusern vorbei: zuerst an der intakten Fassade des Wolf gang Leutgeb, dann an den blinden Fensterscheiben im Haus des Dietrich Reckel. Mein Gefühl sagte mir, daß es noch immer genauso leer war wie vorhin, aber ich konnte mich nicht dazu bringen, davor anzuhalten. Es stand leer, doch ich hatte den dumpfen Verdacht, daß sich irgendwo jemand verbarg und mich scharf beobachtete. Sie mochten untergetaucht sein; verschwunden waren sie nicht.
Ich erstattete Hanns Altdorfer Bericht. Während ich ihm von dem leeren Haus und meiner beunruhigenden Begegnung mit dem alten Leutgeb erzählte, kam mir der Gedanke, daß es geraten sein mochte, auch Albert Moniwid von den bisherigen Ereignissen zu berichten. Aber dann dachte ich daran, wie er voller Spott darüber herziehen würde, daß man uns überfallen hatte. Ich konnte dieses Erlebnis aus meinem Bericht herauslassen; aber dann wäre es ein kläglicher Rest gewesen, den ich zu erzählen gehabt hätte, und Moniwid hätte vermutlich einmal mehr den Verdacht gehegt, daß wir in der Angelegenheit gar nichts tun wollten. Es gab keine greifbaren Ergebnisse, und all die halben Ahnungen und Vermutungen würden ihn weder beruhigen noch von unserer Kompetenz überzeugen. Die Gefahr, daß es ihm zu dumm würde und er einfach mit erhobenem Finger zu seinem König liefe, ohne sich um unsere Abmachung zu kümmern, war zu hoch. Ich beschloß abzuwarten, was Richter Girigel aus den beiden Festgenommenen herausholen würde.
Der Beauftragte des Richters tauchte an diesem Tag nicht mehr auf. Als es bereits kurz vor der Dämmerung war und ich zum Aufbruch drängte, schickte Hanns Altdorfer einen seiner Schreiber zum Gericht; aber dieser kam mit der lapidaren Botschaft zurück, es sei niemand aus Burghausen dort eingetroffen. Ich verabschiedete mich von dem Stadtkämmerer, dem ich den halben Tag Gesellschaft geleistet und der dafür sein karges Mahl aus Brot und Milch mit mir geteilt hatte, und ritt nach Hause.
Der Verwalter wartete zu Hause auf mich.
»Die Seidenstoffe sind eingetroffen!« rief er mir entgegen, als ich die Stube betrat und das Geschnatter des Gesindes leiser wurde.
»Wann?« fragte ich überrascht.
»Heute im Laufe des Tages. Ich habe sie einlagern und sofort mit den Näharbeiten beginnen lassen.«
»Sehr gut«, sagte ich. »Was ist mit der Bezahlung?«
»Herr Walther vom Feld hat Euren Anteil persönlich hierher begleitet. Er wartete eine Weile auf Euch, weil er noch mit Euch sprechen wollte. Ich habe ihm gesagt, daß Ihr Euch in den nächsten Tagen mit ihm in Verbindung setzen würdet.«
»Hat er dir Schwierigkeiten gemacht?«
»Nein, es gab keine Probleme. Ich habe die Lieferung entgegengenommen, zwei der Näherinnen holen lassen, während ich ihm einen Schluck Wein anbot, und dann die Ballen vor seinen Augen mit den beiden Frauen geprüft. Zuletzt habe ich ihm einen Schuldschein über den Wert der Lieferung mit Eurem Siegel abgestempelt.«
»Ich hätte es nicht besser machen können«, entfuhr es mir beinahe gegen meinen Willen. Er lächelte geschmeichelt.
»Ich bemerkte, daß wir durch die späte Anlieferung erhöhte Kosten hätten, an denen er sich sicherlich durch einen Nachlaß beteiligen wolle«, fuhr er betont beiläufig fort. »Er antwortete, daß er dafür den Jörg Tannberger zu sich genommen hätte, und ich sagte, Tannberger habe uns schon mitgeteilt, welch
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