Der Tuchhändler (German Edition)
konnte an der wasserblauen Farbe seiner Iris liegen, oder daran, daß er kurzsichtig war und die Augen zusammenkneifen mußte, um mich sehen zu können. Er war sehr groß, fast eine Handspanne größer als ich; womöglich machte es mich auch nur nervös, zu ihm aufschauen zu müssen, ich, der ich es gewohnt war, fast alle anderen wenn schon nicht an Größe, dann wenigstens an Bulligkeit zu überragen.
Oder lag es an der überlegten Art, in der er seine Worte setzte, und an seinem Lächeln, das seine Augen nicht zu erreichen schien? Er seufzte und sah die Gasse hinauf und hinab.
»Wißt Ihr«, sagte er, und es klang leichthin, »es ist mir immer wieder ein Greuel, wenn ich daran denke, wie es dasteht und verfällt. Was könnte man daraus machen! Es ist ein schönes Haus, und es ist eine Schande, daß es der Witterung so preisgegeben wird. Ich war längere Zeit auf Reisen und bin erst vor wenigen Tagen wieder zurückgekommen, um die Hochzeit des jungen Prinzen zu erleben. Die ganze Zeit über habe ich nicht daran gedacht, wie es sozusagen in meiner Nachbarschaft verfault; als ich heimkam, habe ich jedoch wieder angefangen, mich darüber zu ärgern.«
»Warum kauft Ihr es nicht?« fragte ich spontan. Er hob eine Hand und winkte abwehrend.
»Nein, nein, ein Haus reicht völlig aus für mich und meine Familie.« Einer der Wappner gähnte unterdrückt und stieg von einem Fuß auf den anderen. Ich nahm den willkommenen Anlaß und sagte: »Ich glaube, wir müssen weiter. Wir haben noch einiges vor.«
»Soll es abgerissen werden?« fragte er und deutete auf das alte Haus. Er war hartnäckig wie eine Filzlaus.
»Nein«, sagte ich widerwillig. »Wir haben es uns nur angesehen.«
»Wollt Ihr es kaufen?«
»Ebensowenig wie Ihr.«
»So. Ich dachte schon, Ihr seid vielleicht ein Kaufmann, der für einen Kunden auf der Suche nach einem Wohnhaus ist.«
»Wie kommt Ihr denn darauf?«
»Warum solltet Ihr wohl sonst ein leerstehendes Haus ansehen?« fragte er, und ich hatte für einen erschreckenden Moment das Gefühl, daß das Lächeln sein Gesicht verlassen hatte und mühsam beherrschte Wut in seinen Zügen zu lesen war. Er hob die Augenbrauen, und in einer komischen Pantomime hoben sich seine Schultern mit, und das Lächeln legte seine Züge wieder in viele Falten.
»Wenn Ihr es unbedingt wissen müßt«, sagte ich angespannt, »ich arbeite für den Stadtkämmerer, der nach freistehenden Unterkünften für die Unterbringung der Hochzeitsgäste sucht.« Ich vermied es angestrengt, mich nach den beiden Stadtknechten umzublicken. Was würden ihre Gesichter zeigen? Aber sie machten keine Bewegung, die etwa verraten hätte, daß diese Aussage sie überraschte. Ich übersah jedoch nicht, daß der alte Mann einen schnellen Blick zu meinen Begleitern hinüberwarf, wie um gerade eine solche Reaktion abzuschätzen.
»Jetzt habe ich Euch verärgert«, sagte er und schob die Lippen vor wie ein gescholtenes Kind. »Verzeiht mir.«
»Schon gut«, erwiderte ich. »Wir müssen nun los. Gott behüte Euch.«
Er verzog einen Mundwinkel, bis ein saugendes Geräusch zu hören war, und legte die Stirn in Falten. Er machte den Eindruck, als versuchte er mir etwas mitzuteilen, was nicht recht heraus wollte.
»Ich habe Euch vorhin angelogen«, murmelte er schließlich. »Tatsächlich würde mich das Haus schon interessieren. Aber man munkelt, daß es darin umgeht.«
»Wie bitte?«
»Geister«, sagte er dumpf. »Verlorene Seelen, die nach dem Leben dürsten. Es schaudert mich, wenn ich nur daran denke. Das ist der Grund, warum ich es nicht längst schon gekauft habe: Ich fürchte mich. Es wäre wahrscheinlich ein großes Unglück, ein verfluchtes Haus zu kaufen.«
»Ich habe noch nichts davon gehört«, sagte ich knapp.
»Und ich dachte, Ihr hättet es vielleicht deswegen untersucht. Weil man Euch erzählt hat, man hätte Stimmen gehört und Lichter gesehen.«
»Wer sollte so etwas erzählen?«
Er wies die Gasse hinab, wo ein ganzes Stück weiter unten das Haus des Sebastian Löw den Anfang der Wohngebäude machte.
»Die Nachbarn; der Apotheker, die Flößer, was weiß ich. Ich bin schon oft angesprochen worden, ob ich nicht Angst um mich und meine Familie hätte – so nahe an diesem Geisterhaus zu wohnen.«
»Ihr habt ja welche, wie Ihr selbst sagtet.«
Er lächelte wieder und drohte beinahe scherzhaft mit dem Finger.
»Hier nicht«, sagte er. »Hier nicht. Dieses Haus hier hat mein Vater erbaut, und ich habe als kleiner Junge in
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