Der Tuchhändler (German Edition)
Ecken und Kanten aufgeplatzt wie die rissige Borke eines sterbenden Baumes; von der Decke und vom Boden krochen an den Außenwänden runde, schwarze Flecken aufeinander zu wie Geschwüre. Es roch nach dem Laubhaufen in der Ecke, nach der Erinnerung an brennende Kerzen und nach nassen Backsteinwänden, und es war beinahe noch kälter in dem großen Raum als draußen im Freien.
Ich klopfte an die Fensterscheibe, bis die beiden Stadtknechte auf mich aufmerksam wurden. Ich krümmte einen Finger, und sie nickten. Der größere der beiden lehnte sich wieder an die Mauer, während der Kleinere über die Gasse schritt und durch das Hoftor verschwand. Gleich darauf hörte ich seine Schritte die Treppe heraufkommen.
»Ich bin hier«, rief ich laut, und er trat über die Schwelle und sah sich mit zusammengekniffenen Augen um.
»Könnt Ihr mir die Kerze hier anzünden?« fragte ich.
Er nickte und nahm mir den Stummel ab. In seinem Lederbeutel fanden sich Feuersteine und eine Lunte, und er schlug fachmännisch ein paar Funken in sie hinein, bis sie genügend glomm, um den Kerzendocht damit zu entzünden. Er hielt die Kerze hoch und betrachtete sie prüfend.
»Die macht es nicht mehr lange«, sagte er.
»Wir brauchen sie nur kurze Zeit«, erwiderte ich.
Ich hob die Decke vom Boden auf und warf sie wieder über die Vorhangstange. Ich glaubte nicht, daß die Leute, die hier gehaust hatten, noch einmal zurückkehren würden, aber ich hatte das Gefühl, ich sollte wieder in Ordnung bringen, was ich gestört hatte. Zusammen verließen wir den Raum und öffneten nacheinander alle anderen Türen im Obergeschoß. Der Anblick unterschied sich in nichts von dem im großen Zimmer; nur die Kerzenstummel fehlten. In einem der Zimmer schnüffelte der Stadtknecht plötzlich und zog die Nase hoch; dann sagte er: »Hier riecht es nach Parfüm.«
Ich konnte keinen besonderen Geruch wahrnehmen und wollte seine Feststellung mit einer Handbewegung abtun, dann erinnerte ich mich an die letzte Begegnung mit Jana Dlugosz. Der Duft nach frischen Äpfeln, der mich an Sommer und lange zurückliegende, fröhliche Zeiten erinnert hatte und der ihr Parfüm gewesen war. Ich schnupperte angestrengt, aber ich hatte keine Nase dafür.
»Wonach riecht es denn?« fragte ich ihn.
Er zuckte mit den Schultern.
»Nach irgendwas. Frisches Obst«, sagte er. Ich biß die Zähne zusammen. Es gibt eine Menge frisches Obst, sagte ich mir und fragte mich im selben Moment, warum ich mir so sehr wünschte, daß er nicht den Duft von Jana Dlugosz’ Parfüm wahrgenommen hatte. Er sagte nichts mehr dazu, und ich ließ die Sache auf sich beruhen.
Das Obergeschoß hatte die Wohnräume des Hausherren beherbergt; das Erdgeschoß, zu dem wir danach hinunterstiegen, diente vermutlich der Unterkunft seines Gesindes, der Küche und der Stube. Die Fenster waren hier nicht verhängt; der Steinboden knirschte von den Splittern der eingeworfenen Fensterscheiben, und das Laub war dichter und überall verstreut. Wir fanden keine Anzeichen, daß sich jemand im Erdgeschoß aufgehalten hatte. Ich seufzte und sah auf den Unschlittstumpen nieder, den ich in der Hand hatte. Mit der Durchsuchung des Hauses hatte ich nur das Eingeständnis verzögert, daß ich für den Augenblick nicht mehr weiterwußte.
»Gehen wir«, sagte ich.
»Wollt Ihr den Keller nicht untersuchen?« fragte der Wappner. Ich sah ihn überrascht an.
»Den Keller?«
»In der hinteren Ecke des Hofes habe ich eine niedrige Tür gesehen. Ich schätze, daß sie in einen Vorratskeller hinabführt.«
»Zeigt sie mir.«
Er trat vor mir ins Freie hinaus, und ich zog mit dem gleichen Gefühl, das mich oben genötigt hatte, die Decke wieder an ihren Platz zu hängen, die Tür hinter uns zu. Ich folgte ihm zu der bezeichneten Stelle: Wie ein niedriger Buckel erhob sich ein moosbewachsener Ziegelhaufen in der Hofecke, an einer Seite mit einer Tür versehen, die massiv wirkte und so klein war, daß man sich tief bücken mußte, um hindurch zu gelangen. Der Riegel steckte in der Öse, und in der Öse hing ein verrostetes Schloß. Der Bügel stand offen. Es war zu schwer, sonst wäre es im leichten Wind hin und her gebaumelt.
Ich streckte die Hand aus und zog das Schloß herunter. Der Wappner packte den Riegel und öffnete die Tür.
Was hatte ich erwartet? Eine weitere zerschundene Leiche? Weil ich bereits eine Leiche in einer ähnlichen Gruft erblickt hatte? Oder den dunklen Schatten im Fenster, jetzt zusammengekauert hinter
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