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Der Tuchhändler (German Edition)

Der Tuchhändler (German Edition)

Titel: Der Tuchhändler (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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immer in einer lächerlichen Pose hinter dem Tisch eingeklemmt; ich ließ mich auf die Bank zurücksinken. »Daniel«, sagte ich dann zärtlich. »Wie schön, dich zu sehen.«
    Er trat an den Tisch und ließ die Tür hinter sich zufallen. Als er mir die Hand reichte, kniff er die Augen zusammen.
    »Ich freue mich auch, Vater. Aber was ist mit Eurem Gesicht geschehen? Hattet Ihr einen Unfall?«
    »Nichts Schlimmes«, sagte ich. »Setz dich doch.«
    Er setzte sich neben mich und sah sich in der Stube um, als wäre er vor Jahren zuletzt hier gewesen. Ich betrachtete ihn und spürte plötzliche Verlegenheit. Wie in den meisten Fällen wußte ich nicht, welche Worte ich wählen sollte; bei jedem seiner Besuche fühlte ich eine anfängliche Entfremdung, die immer stärker zu werden schien und mich beklommen machte.
    »Bist du hungrig?« brachte ich schließlich hervor.
    Er fuhr mit einem Finger durch die Milchlache und sah mich von der Seite her an.
    »Bevor Ihr alles verschüttet...«, sagte er gedehnt.
    »Mehr als das gibt es nicht«, brummte ich und wies auf die weiße Pfütze. Er lachte, und ich faßte zu ihm hinüber und umarmte ihn. Er klopfte mir auf die Schulter und umarmte mich ebenso heftig.
    Jedesmal, wenn wir uns sahen, schien er mir breiter und kräftiger geworden zu sein. Die Arbeit am Dom forderte seine Kräfte, und ich konnte sehen, wie zerschunden seine Hände und seine Unterarme waren. Sein Körper war mit dicken Muskelsträngen bepackt. Er war noch nie von zarter oder schlanker Statur gewesen; er ging nach mir, mit breiten Schultern, breiten Hüften und stämmigen Beinen. Anders als bei mir war an ihm noch kein überflüssiger Speck zu finden, und die Muskeln bewegten sich dicht unter seiner Haut, als er sich aus meinem Griff befreite. Er lächelte mir fröhlich ins Gesicht. Seine Züge hatte er von Maria geerbt: fein geschwungene Augenbrauen, dunkle Augen und eine gerade Nase unter einem ungebärdigen Haarschopf. Wahrscheinlich liefen ihm die Mörtelweiber und die Brotverkäuferinnen auf der Baustelle in Scharen hinterher. Er würde es nicht einmal zu schätzen wissen; er hatte diverse Liebchen gehabt, solange er noch hier im Haus gewohnt hatte, aber er war jeder einzelnen treu gewesen, und jede Trennung hatte ihn mindestens ebensosehr mitgenommen wie das jeweilige Mädchen. Ich wußte nicht einmal, ob er zur Zeit wieder ein Mädchen hatte. Ich verspürte einen Stich: Ich sah ihn viel zu selten.
    »Solltet Ihr in Eurer Kammer doch noch etwas mehr finden als einen Schluck verschüttete Milch«, sagte er, »könnt Ihr Euch darauf verlassen, daß ich es vertilgen werde.«
    Ich rief eine Küchenmagd herein. Sie wischte den Tisch sauber und streichelte Daniels Wange.
    »Der junge Herr«, sagte sie strahlend, und Daniel lächelte ihr so schmelzend zu, daß ihre alten Bäckchen rot erglühten. Ich schüttelte den Kopf, und er schnitt mir eine Grimasse, die bedeutete: Ich kann auch nichts dafür.
    Ich sah schweigend zu, wie er aß. So überraschend, wie er eben aufgetaucht war, kam er immer; er meldete sich niemals an. Ich wußte, daß er nur kam, wenn er nichts auf der Baustelle zu tun hatte oder wenn ihn das Heimweh zu arg drückte, und es tat mir doppelt weh, wenn wir bei einer dieser seltenen Gelegenheiten nach kurzer Zeit miteinander stritten. Aber es geschah beinahe zwangsläufig, daß wir auf ein Thema kamen, zu dem wir unterschiedliche Ansichten hegten, und sooft ich mir auch vorsagte, diesmal nachsichtig zu reagieren, wenn er mir eine seiner unausgegorenen Ideen präsentierte, so selten gelang es mir. Die Freude über sein Erscheinen verdunkelte sich, als ich daran dachte.
    »Hast du heute am Dom nichts zu tun?« fragte ich ihn.
    »Die Arbeiten wurden für einen oder zwei Tage eingestellt«, erwiderte er mit vollem Mund. »Stethaimer hat alle seine Gesellen heute nach Sonnenaufgang zusammengerufen, um es uns mitzuteilen, und bis ich es wieder meinen eigenen Gehilfen weitergesagt hatte, verging einige Zeit. Danach beschloß ich, die Gelegenheit zu nutzen und Euch zu besuchen.«
    Ich nickte; vorsichtig und mit einem unguten Gefühl fragte ich: »Weshalb wird nicht gearbeitet?« Hatten sie noch etwas in der Kirche gefunden, das nicht ans Tageslicht hätte kommen sollen?
    »Der Bischof von Salzburg besichtigt heute die Baustelle«, sagte Daniel mit einer wegwerfenden Handbewegung. »Er ist wohl gestern oder vorgestern in der Stadt angekommen und will die Kirche sehen, in der er den jungen Herzog trauen

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