Der Tuchhändler (German Edition)
alleine lassen, um Geschäfte zu erledigen: er bewegte sich nicht vom Fleck, bis man wieder zurückkam, und selbst auf dem Wagen drehte er den Kopf noch nach hinten, bis er nichts mehr von der Kirche erblicken konnte. Dann überfiel er einen mit Fragen und löcherte das Gesinde, wenn Maria oder ich oder auch Hanns Altdorfer nicht in der Lage waren, ihm die gewünschten Antworten zu geben. Es war mein Fehler gewesen, diese Leidenschaft nicht genügend zur Kenntnis genommen zu haben; der Tag, an dem er mir mitteilte, er habe eine Stelle als Steinmetzlehrling auf der Baustelle angenommen, wäre nicht so schmerzlich für uns beide verlaufen, hätte ich meine Augen und mein Herz weit genug für ihn geöffnet.
»Es geht drunter und drüber«, sagte er, und sein Grinsen ließ keinen Zweifel daran, daß ihm das Chaos von Herzen zusagte. »Der Hochaltar ist noch nicht soweit, daß die Trauungszeremonie davor stattfinden könnte, das Chorhaus ist ein wirrer Haufen aus Ziegeln und Brettern, und es gibt noch so viele nicht aufgefüllte Gruben im Kirchenschiff, daß erst letzte Woche ein altes Weiblein mit einer Fuhre Mörtel in eine hineingefallen ist und alles verschüttete. Stethaimer war so wütend, daß er sie am liebsten als Füllmaterial in der Grube gelassen hätte.«
Ich dachte mit Schaudern: Eine ähnliche Idee hat auch ein anderer gehabt; aber Daniel bemerkte nicht, wie ich zusammenzuckte, und erzählte unbekümmert weiter: »Hanns Altdorfer setzt den Baumeister noch zusätzlich unter Druck, weil es in der Kirche angeblich aussieht wie in einem Schweinestall. Jeden zweiten Tag taucht er auf der Baustelle auf und rechnet Stethaimer vor, wie viele Tage ihm noch bleiben bis zur Ankunft der Braut.«
Ich vergaß Daniels makabre Bemerkung und lächelte unwillkürlich. Daniel sagte: »Ich habe mich mit dem Stadtkämmerer schon eine Ewigkeit nicht mehr unterhalten.«
Als kleiner Junge hatte er ihn als seinen Oheim angesehen; als junger Mann schien es sich nicht mehr zu schicken, Hanns Altdorfer so zu bezeichnen. »Ich finde es schade; ich mochte ihn sehr gern. Trefft Ihr ihn noch zuweilen, Vater?«
»Wir sind nach wie vor Freunde geblieben«, erwiderte ich ruhig, und sein Gesicht nahm für einen winzigen Augenblick einen merkwürdigen Ausdruck an, als würde es ihn erleichtern, daß ich von Altdorfer als einem Freund sprach. Der Ausdruck verging, aber ich hatte ihn gesehen. Es war nicht wegen des Stadtkämmerers; es war die Tatsache, daß ich überhaupt jemanden meinen Freund nannte. Machte er sich Gedanken über meine Art zu leben? Mein eigener Sohn?
Er holte kurz Luft und schüttelte gleichzeitig belustigt den Kopf.
»Ich hätte gedacht, der Baumeister wäre zäher; aber wie es scheint, haben ihn die vielen Besuche des Stadtkämmerers mürbe gemacht. Er hat vermutlich Angst, man könnte ihn beschuldigen, den Bau zu verzögern. Er hat sich vor ein paar Wochen mit allen geschworenen Meistern zusammengesetzt und für die Dauer der Hochzeitsvorbereitungen die Landshuter Zunftordnung überarbeitet. Bislang war es so, daß kein Meister, Geselle oder Lehrling von Georgi bis Jakobi eine Arbeit auf dem Land annehmen durfte; er mußte der Stadt ständig zur Verfügung stehen. Nun hat er diese Zeitspanne noch nachträglich bis nach Martini ausgedehnt, damit keine Arbeitskraft der Kirche verlorengeht. Jeder Meister hat außerdem die Erlaubnis erhalten, bis zur Ankunft der Braut so viele Gesellen, Hilfskräfte und Träger anzuwerben, wie er für nötig hält, und es ist egal, ob sie Fremde oder Einheimische sind. Damit die Arbeiten schneller vorangehen, darf auch jeder Meister einen oder zwei Gesellen für selbständige Arbeiten empfehlen, damit diese ihre eigenen Gruppen von Hilfsarbeitern beschäftigen können.«
Er lächelte und strich sich über den Bauch.
»Ihr könnt mir gratulieren«, sagte er stolz. »Ich gehöre auch zu jenen Selbständigen.«
»Dann gratuliere ich«, sagte ich und lächelte.
»Ich beaufsichtige jetzt eine Gruppe von vier Steinhauern«, erklärte er. »Natürlich nur, bis die Hochzeit vorüber ist.«
»Gibt es denn in Landshut noch Männer, die etwas vom Bauhandwerk verstehen und nicht schon lange am Dom arbeiten?« fragte ich.
»Kaum«, lachte er. »Wir haben schon Leute aus dem halben Herzogtum angeworben, und es sind nicht gerade die Allerhellsten darunter. Stellt Euch vor, Vater: Unter den fremden Wappnern gibt es ein halbes Dutzend Maurer, die uns bereits angesprochen haben, sie würden lieber
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