Der Tuchhändler (German Edition)
soll.«
Ich lehnte mich erleichtert zurück.
»Und dabei kann man euch nicht gebrauchen.« Er zuckte mit den Schultern.
»Wahrscheinlich haben sie Angst, jemand könnte ihm einen Stein auf den Kopf fallen lassen; ihm und den anderen Pfaffen.«
»Wer ist denn noch außer ihm angekommen?«
»Wen Ihr Euch vorstellen könnt: der Bischof von Chiemsee, von Passau, von Freising«, er begann, sie an den Fingern aufzuzählen, »von Bamberg, von Eichstätt – habe ich einen vergessen? Richtig, den Bischof von Augsburg.«
Er blinzelte mich schelmisch an, als ich unwillkürlich zusammenzuckte. Aber Bischof Peter war schon seit Jahren tot, und sein Nachfolger wußte sowenig von mir wie ich von ihm.
»Du weißt gut Bescheid«, sagte ich.
»Was Wunder! Jeder einzelne von ihnen ist in den letzten Tagen auf der Baustelle erschienen und hat geistreiche Bemerkungen losgelassen. Stethaimer ist vor jedem von ihnen auf dem Boden gekrochen.«
Ich schnaubte; aber ich konnte der Versuchung widerstehen, ihn darauf hinzuweisen, daß das Gehabe des Baumeisters von größeren politischen Erwägungen diktiert wurde. Er schob den Teller von sich und wischte sich mit dem Ärmel über den Mund. Dann klopfte er sich auf den Bauch.
»Ich platze gleich«, stöhnte er. Er wandte mir das Gesicht zu, den Kopf bequem an die Wand gelehnt, und studierte mich einen Augenblick.
»Wie geht es Euch, Vater? Ihr seht müde aus.«
»Ich hatte ein paar Schwierigkeiten in letzter Zeit.«
»Geschäftlich?«
»Unter anderem.«
Er schüttelte den Kopf.
»Warum laßt Ihr den Hof nicht einmal für eine Weile allein?«
»Brauchst du einen Handlanger?«
»Nein«, lachte er. »An ungelernten Arbeitskräften gibt es genug, seit die Stadt vor lauter Hochzeitsgästen aus den Nähten platzt. Aber Ihr könntet einmal Sabina oder Maria besuchen ...«
»Was sollen sie mit ihrem alten Vater?« sagte ich und dachte daran, wie sehr vor allem Sabina ihrer Mutter ähnelte. Ich liebte meine beiden Töchter; aber als sie aus dem Haus waren, wurde es mir plötzlich leichter ums Herz – ich hatte zu oft in freudigem Schrecken den Atem angehalten, wenn ich in Gedanken versunken auf dem Hof herumwandelte und dabei auf meine älteste Tochter stieß, wie sie mit dem Gesinde sprach oder die Tiere fütterte und Maria von der Ferne aufs Haar glich. Es war auf die Dauer anstrengend, mit der Inkarnation meiner toten Frau unter einem Dach zu leben.
»Habt Ihr von ihnen in letzter Zeit gehört?« fragte Daniel.
»Sie schreiben regelmäßig«, antwortete ich. »Sabina hat vor ein paar Wochen eine Tochter auf die Welt gebracht.«
»Und Maria?«
Ich zuckte mit den Schultern.
»Sie ist wohl glücklich drüben in Augsburg. Ihr Mann arbeitet jetzt als Fernkaufmann für die Hochstetter, und sie ist viel allein; aber sie schreibt, es mangele ihr an nichts.«
»Ob sie mich noch zum Onkel machen wird?«
Ich hatte die Frage geahnt. Ich haßte die Antwort darauf.
»Ich weiß es nicht, Daniel. Ich glaube, sie hat Angst davor, Kinder auf die Welt zu bringen. Du weißt, wie verstört sie war, als Mutter ...«
Er nickte, als meine Stimme leiser wurde.
»Ich werde demnächst versuchen, ihnen auch einen Brief zu schreiben. Wenngleich ich geschickter darin wäre, den Text in einen Stein zu ritzen.«
Er lächelte schief in dem Versuch, ein anderes Thema anzuschneiden. Ich seufzte und zwang mich dazu, wieder eine fröhliche Miene aufzusetzen.
»Was gibt es Neues auf der Baustelle?«
Er holte Atem; ich wußte, er war jetzt in seinem Element. Hans Stethaimer hielt große Stücke auf ihn, und einer der Gründe dafür war Daniels ungebrochene Begeisterung für das Bauwerk. Man hatte es begonnen, als mein Vater, Daniels Großvater, den er nie kennengelernt hatte, gerade laufen konnte, und über drei Generationen hinweg daran gebaut. Daniel würde vermutlich in meinem Alter sein, wenn der Turm als letztes Teil des Doms vollendet wäre, und es faszinierte ihn, an einem Werk teilzunehmen, dessen Fertigstellung sich über mehrere Generationen hinweg vollzog. Schon als wir uns in Landshut ansiedelten, hatte er bettelnd und flehend so lange vor der Haustür gestanden, bis wir ihn auf den Wagen luden und zur Stadt hinein mitnahmen: ein kleiner, stämmiger Junge, der mit laufender Nase und offenem Mund die gewaltige Baustelle besichtigte, vollkommen verzaubert von dem ameisenhaften Gewühl, das sich darauf entfaltete. Man konnte ihn getrost in sicherer Entfernung zu den Bauarbeiten abstellen und
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