Der Tuchhändler (German Edition)
abgründige Gefühl, daß der Tod seine Ernte noch nicht beendet hatte.
Schließlich ergriff Daniel wieder das Wort und erzählte weiter über die Schwierigkeiten auf der Baustelle, und ich hörte ihm mit halber Aufmerksamkeit zu. Als er sich zuletzt verabschiedete, war ich beinahe froh, nun in Ruhe nachdenken zu können. Er war zu Fuß herausgekommen, und ich sah zu, wie er durch mein Tor ins Freie ging und seine Gestalt über den kleinen Weg durch die Wiesen schmäler und schmäler wurde, bis sie mit dem Novembergrau verschmolz. Wir hatten uns dieses Mal nicht gestritten. Ich wußte, daß es nur daran lag, daß ich die meiste Zeit kaum auf das gehört hatte, was er sprach.
7
M ein Spitzel erwartete mich an unserem Treffpunkt. Er schien unruhig, und ich sah, daß ihm etwas auf der Zunge lag. Er starrte mich nach einem knappen Gruß mit einem Blick an, der halb ärgerlich und halb unsicher war, dann sagte er stockend: »Seid Ihr sicher, daß Ihr mir vertraut?«
»Wie kommt Ihr darauf, daß es nicht so sein könnte?«
Er seufzte; es war ihm anzusehen, daß er überlegte, ob er sich seine Ehrlichkeit ein zweites Mal leisten konnte. Er sah auf seine Fußspitzen und trat von einem Bein aufs andere.
»Weil noch jemand anderer das Haus beobachtet«, sprudelte er schließlich hervor. »Habt Ihr diesen Mann angestellt?«
»Was sagt Ihr da?« rief ich.
»Wenn Ihr mit mir nicht zufrieden seid, bitte ich Euch, mir zu sagen, was ich falsch gemacht habe ...«, begann er, aber ich unterbrach ihn aufgeregt.
»Was soll das bedeuten?« drängte ich hastig. »Schnell, sprecht.«
Er starrte mich an und blinzelte. Scheinbar kam ihm zu Bewußtsein, daß er die falschen Schlüsse gezogen hatte.
»Ich weiß nicht«, stammelte er. »Er ist mir aufgefallen, weil ich sein Gesicht immer wieder in der Gasse sah, und mittlerweile weiß ich, daß auch er das Haus beobachtet.«
Ich sah in an, ohne ihn zu sehen. Ich bemühte mich krampfhaft, meine Aufregung zu unterdrücken.
»Seltsam«, brummte ich.
»Zuerst dachte ich mir, vielleicht haben die Verwandten des jungen Mannes ihn geschickt«, sagte er eifrig.
Ich fragte ihn einmal mehr überrascht: »Welchen jungen Mannes?«
»Na, Euer Mündel trifft sich doch mit einem jungen Mann, nehme ich an.«
»Ja, ja«, stieß ich hervor. »Natürlich.«
»Seht Ihr, ich bin dem anderen gestern abend ein wenig hinterhergeschlichen«, gestand er mit einer Miene, als erwarte er auch dafür sofortige Schelte. »Ich habe gesehen, wie er sich mit einem zweiten Mann besprach, und ich nehme an, es handelt sich dabei um seinen Auftraggeber.« Ich horchte auf.
»Wie sah er aus?« erkundigte ich mich.
»Ich sah ihn nur von weitem – und von hinten.«
»Groß? Klein? Welche Kleidung trug er?«
Er zuckte mit den Schultern.
»Normale Größe, würde ich sagen. An seiner Kleidung ist mir nichts Besonderes aufgefallen.«
Ich sah ihn an; er selbst war klein und mager und in ausgeblichenes Zeug gekleidet. Ich wußte, daß man auf seinen Maßstab nicht viel Wert legen konnte.
»Kennt Ihr den Mann?« fragte er neugierig.
»Anhand dieser Beschreibung sicher nicht«, erwiderte ich beißender, als ich beabsichtigt hatte. Er machte sich nichts daraus.
»Wißt Ihr«, sagte er eifrig, »ich habe mir gedacht, es könnte ja sein, daß die Familie des jungen Mannes ebensowenig mit der Entwicklung der Dinge einverstanden ist wie Ihr.« Er schaute in mein Gesicht, stutzte, zog wieder den falschen Schluß und stieß hervor: »Bei allem schuldigen Respekt, Herr! Euer Mündel ist sicherlich eine feine junge Dame; aber der junge Mann ist vielleicht auch ein aufrechter Kerl. Ich meine, möglicherweise wäre ein Gespräch zwischen den Parteien angebracht ...«Erverstummte.
Ich versuchte zu lächeln. Ich ahnte, daß ich so finster ausgesehen hatte wie immer, wenn ich angestrengt über etwas nachdachte.
»Schon gut«, sagte ich. »Ich bin nicht beleidigt.«
Er rieb nervös die Handflächen aneinander und versuchte ebenfalls zu lächeln. Er schniefte und sagte dann entschlossen: »Wenn Ihr es wünscht, spreche ich ihn an.«
»Nein«, rief ich.
»Warum nicht?«
»Weil ... weil ich nicht will, daß man von Euch erfährt.«
Er sah mich betreten an, und ich fragte ihn voll düsterer Ahnung:
»Hat er Euch etwa schon entdeckt?«
»Nein, ich glaube nicht«, sagte er hastig. »Aber ich fürchte, daß es nur noch eine Frage der Zeit ist; wenn ich in der Lage war, ihn zu entdecken, wird es ihm bei mir nicht anders
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