Der Tuchhändler (German Edition)
nochmals in großer Zahl eintroffen waren, die Stadt wieder verließen, und ich wußte, daß ich schon eine ganze Weile hier stand. Vermutlich war die Warterei ohnehin vergebens, aber ich konnte mich noch nicht entschließen aufzugeben.
Zuletzt hätte ich beinahe den Augenblick verpaßt, in dem Richter Trennbeck das Gebäude verließ, ein Pferd bestieg und langsam davontrabte. Ich geduldete mich, bis er außer Sichtweite war, dann betrat ich die Schreibstube von neuem.
Trennbeck hatte den Schreiber in Girigels Stube zurückgelassen; offenbar hatte er ihm aufgetragen, seine Listen zu vervollständigen. Die beiden anderen Männer in der Schreibstube winkten mich mit dem Kopf hinein, und ich betrat den kleinen Raum ein zweitesmal. Der Schreiber sah auf; als er mich erblickte, schien er aufrichtig erstaunt. Dann wurden seine Augen schmal.
»Kann ich noch etwas für Euch tun?« fragte er.
Mir war klar, daß es schwierig sein würde. Wenn er etwas wußte, was er vorhin nicht gesagt hatte, würde er auch jetzt nicht einfach drauflosplappern. Es mochte ihn zwar ersticken, wenn er es zurückhielt; aber er würde nicht so vertrauensselig sein, einem Fremden sein Herz auszuschütten. Er kannte mich nicht, und er hatte keine Ahnung, weshalb ich mich für seinen toten Genossen interessierte.
Es kam auf jeden Fall darauf an, ihn nicht glauben zu lassen, ich wolle ihm selbst etwas am Zeug flicken. Ich überlegte scharf, wie ich das Gespräch beginnen könnte. Wie sich nach ein paar Momenten herausstellte, war meine Vorsicht jedoch vollkommen überflüssig.
»Ich wollte Euch doch noch etwas fragen«, sagte ich und lächelte so breit ich konnte. »Mir ist etwas aufgefallen.«
Er verengte die Augen noch stärker, und sein Gesicht spannte sich an.
»Und was wäre das?«
»Wenn ich Richter Trennbeck so ansehe, nehme ich an, daß wegen der Hochzeitsvorbereitungen eine ganze Menge zu tun ist.«
Ich beendete meinen Satz, und als ich nicht gleich weitersprach, sah er sich genötigt zu nicken. Ich bemerkte das Glitzern in seinen Augen und wußte, ihm wurde klar, worauf ich hinauswollte. Aber er hielt sich bedeckt und erwiderte nichts.
»In diesem Zusammenhang«, fuhr ich fort, »erscheint es mir seltsam, daß Richter Girigel einen seiner Männer gerade zu dieser Zeit beurlaubt.«
Ich hatte erwartet, er würde mir mit seiner Antwort ausweichen, um nicht die Entscheidungen des Richters zu kritisieren. Tatsächlich starrte er mich einen langen Moment lang durchdringend an. Seine Hand auf dem Papierstapel machte kleine Gesten, eine unbewußte Pantomime, als wolle er jemanden zu etwas überreden.
Dann lachte er plötzlich böse auf und sprudelte danach förmlich über. Hatte ich vorhin Befriedigung zu bemerken geglaubt, als er vom Tod seines Kameraden erfuhr? Ich hatte mich geirrt: Er war hocherfreut darüber.
»Nicht, wenn es keinen großen Unterschied macht, ob der Mann anwesend ist oder nicht«, schnaubte er aufgebracht.
»Wie darf ich das verstehen?«
»Dieser Wechsler«, sagte er und beugte sich über den Tisch zu mir herüber, »hat nicht viel getaugt. Jedenfalls nicht als Schreiber.«
»Tatsächlich?«
»Ihr dürft es mir glauben. Seine Rechenkünste waren nicht besser als die eines dieser dressierten Pferde, denen man das Ergebnis vorher eingebleut hat; und wenn er etwas schreiben sollte, war es jedesmal ein Tagewerk. Ich glaube, er hatte seine Qualitäten ganz woanders.«
»Und wo?«
Er deutete nach unten, zwischen seine Beine.
»Da«, rief er. »Jeder Weiberrock lief ihm hinterher; er hielt sich für den schönsten Mann in der Stadt. Ihr hättet ihn an manchem Morgen sehen sollen, wenn er mit einer im Heu gewesen war: noch immer besoffen wie ein Schwein, mit rot unterlaufenen Augen, aber kein Makel in seinen Haaren oder seinem Gesicht. Weiß der Teufel, wie er es angestellt hat – dabei war er der Älteste von uns allen. Wahrscheinlich hat er sich die Haare mit Tinte gefärbt und sein Gesicht über Nacht in Milch getunkt. Die Weiber haben jedenfalls reihenweise die Beine breit gemacht; und er hat es immer wieder genüßlich erzählt. Ich denke, er hat jede gekriegt, die er haben wollte, und es gab keine, die ihm nicht gefallen hätte.«
Ich hörte ihm beinahe amüsiert zu. Er war ein magerer, unansehnlicher Kerl mit großen Ohren und einer großen Nase. Welche Mängel der Tote auch sonst noch gehabt haben mochte, sein Erfolg bei Frauen wurde ihm nicht gerade als einer der kleinsten angerechnet. Vielleicht hatte er
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