Der Tuchhändler (German Edition)
redete er seufzend weiter.
»Ich hätte gerne mit meinem Vater darüber gesprochen, aber ich wagte es nicht. Nicht, daß es mir an Vertrauen fehlte – ich wollte ihn nur nicht in die Sache verwickeln und womöglich in Gefahr bringen. Denn daß die ganze Angelegenheit gefährlich war, das glaubte ich Euch ohne weiteres Nachdenken. Ich überlegte, was Ihr weiter tun würdet und was ich an Eurer Stelle tun würde. Dann erzählte mein Vater beiläufig, er habe Euch in der Stadt getroffen, als die Tiere von den Flößen getrieben wurden, und er habe sich darüber gewundert, da Ihr in dem Ruf stündet, kaum jemals die Stadt aufzusuchen. Kurz darauf sah ich Euch zufällig unten bei den Flößern stehen und mit ihnen verhandeln.«
Er seufzte nochmals und gestand dann: »Wißt Ihr, danach habe ich Euch beobachtet. Ich bin Euch nachgeschlichen.«
Er ließ den Kopf hängen und schaute zu Boden. Ich war für ein paar Augenblicke zu erstaunt, um sprechen zu können.
»Nachgeschlichen?« echote ich schließlich. »Wohin?«
»Nicht weit; ich habe bald bemerkt, daß Ihr Euch für das leerstehende Haus in der Ländgasse interessiert. Nachdem meine Aufmerksamkeit erst einmal geweckt war, fielt Ihr mir immer wieder auf, als Ihr durch die Gasse kamt.«
Ich schüttelte den Kopf. Und ich hatte mir etwas darauf eingebildet, wie unauffällig ich vorgegangen war. Es war kein Wunder, daß mich auch die Leute in dem Haus schließlich entdeckt hatten.
»Seit wann habt Ihr mich beobachtet?«
»Seit Samstag«, sagte er. »Am Montag vermißte ich Euch; ich dachte schon, Ihr wärt auf etwas gestoßen. Ich wartete den ganzen Tag auf Euch, aber Ihr kamt nicht zum Vorschein. Ich behielt die meiste Zeit über das Haus im Auge, weil ich hoffte, vielleicht auch etwas zu entdecken.«
»Und? Habt Ihr etwas entdeckt?«
»Keine Menschenseele. Ich hätte beinahe aufgehört, mich um die Angelegenheit zu kümmern, weil ich glaubte, Ihr hättet sie zum Abschluß gebracht.« Er breitete die Hände aus und sah mir drängend ins Gesicht. »Es war ja nicht so, daß ich Euch aus Neugier hinterhergeschlichen wäre. Es war ...«
Er brach ab und suchte nach den richtigen Worten. »... es war – ich wollte wissen, was aus der ganzen Sache wird. Ich hatte das Gefühl, daß Ihr vielleicht -nun ...«
»... Hilfe brauchen würdet?« vollendete ich aufs Geratewohl. Er nickte und wandte wieder den Blick ab.
»Ihr saht an dem Tag, an dem ich die Tote untersuchte, so aus, als hättet Ihr ein Gespenst gesehen«, murmelte er kaum hörbar. Ich konnte mir vorstellen, daß es schwierig war für ihn, über die Lippen zu bringen, was er eigentlich sagen wollte. Ich war so alt wie sein Vater und ein beinahe Fremder für ihn; und was er meinte, war, daß ich ihm leid getan hatte. Er war ein junger Student der Medizin und ich ein alter, reicher Kaufmann mit einem eigenen Hof und einem Dutzend Gehilfen, und er hatte meine Hilflosigkeit gesehen und mich bedauert. Ich wußte nicht, was ich ihm darauf antworten sollte. Vage dachte ich, daß er sein Mitleid früher oder später würde abstreifen müssen, wenn er als Arzt nicht verzweifeln wollte.
Er schwieg so lange, daß ich dachte, er hätte nichts mehr zu sagen. Aber seine Beichte war noch nicht vollendet.
»Nach einer Weile sah ich Euch wieder mit zwei Wappnern, wie Ihr das Haus untersuchtet. Das war das letzte Mal, daß ich Euch in der Gasse sah. Danach kam ich dahinter, daß Ihr die Beobachtung des alten Hauses nicht aufgegeben hattet; Ihr hattet nur jemand anderen damit beauftragt – einen der Flößer. Ich begann folgerichtig damit, nun ihn zu überwachen.«
Ich nickte und sagte grimmig: »Dieser Mann ist jetzt tot.«
Zu meiner Bestürzung erwiderte er nur: »Ich weiß.«
»Ihr wißt...?«
»Ich habe gesehen, wie er umgebracht wurde«, sagte er; es klang nicht so ruhig, wie er es wahrscheinlich hatte sagen wollen. Mir wurde klar, daß all seine bisherigen Aussagen, so überraschend sie auch gewesen sein mochten, nur die Einleitung zu der Geschichte darstellten, die er mir eigentlich erzählen wollte.
»Sprecht«, drängte ich, und er nickte unglücklich und fuhr fort: »In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch kam ich spät von einem Krankenbesuch nach Hause. Ihr wißt ja, daß mein Vater meine Dienste recht freizügig anpreist. Ich ging rasch durch die Gasse und sah mich immer wieder um, weil die Straßen nachts nicht sicher sind. Aus diesem Grund fielen mir auch die drei Männer auf, die sich von oben her durch
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