Der Tuchhändler (German Edition)
sich an einem Mädchen vergriffen, das mein ergrimmter Gesprächspartner auch gerne gehabt hätte; und vielleicht hatte sie sich für den schönsten Mann der Stadt besser erwärmt als für seinen großohrigen Kameraden.
»Das kann doch wohl nicht der Grund gewesen sein, warum ihn der Richter hier geduldet hat«, bemerkte ich, um das Gespräch weiter in Gang zu halten. Auch das war nicht nötig; er hatte nur kurz Luft geholt und pflügte danach mit unverminderter Vehemenz weiter. Auch einem schlechteren Menschenkenner als mir wäre aufgefallen, daß er seit langer Zeit daraufbrannte, jemandem sein Leid zu klagen.
»Ich hoffe, das Wasser hat ihn noch viel schlimmer zugerichtet, als Ihr es angedeutet habt«, murmelte er. »Wißt Ihr, nicht nur, daß er den ganzen Tag mit seinen Weibergeschichten prahlte und so langsam arbeitete, daß es einem vorkam, er stehle dem lieben Gott die Zeit. Nein – wann immer es eine besonders leichte oder angenehme Arbeit zu tun gab, gelang es ihm, damit beauftragt zu werden; wann immer man sich ein paar Pfennige verdienen konnte, indem man eine oder zwei Wochen in einem Landgericht aushalf, bekam er die Erlaubnis hinzugehen; und wenn dann irgendein armer Teufel enteignet wurde oder ohne Erben starb und einen Haufen Geld hinterließ, erhielt er einen ebenso großen Anteil wie wir anderen Schreiber – und das, obwohl wir ständig seine Arbeit für ihn mit erledigt haben. Er durfte sogar mit den Brautwerbern nach Lentschiza, als einer der Schreiber von Doktor Mauerkircher hier in der Stadt krank wurde; und er sprach weder polnisch noch gut genug Latein! Würde Euch da nicht auch die Galle platzen?«
»Natürlich«, sagte ich. »Ich frage mich nur, weshalb Richter Girigel ihn so bevorzugte. Habt Ihr ihn denn nicht wissen lassen, daß Ernst Wechsler ein Versager war?«
»Glaubt Ihr, einen Herrn wie den Richter würde unsere Meinung interessieren?« brummte der Schreiber. »Es ist ja nicht so, daß er sich Wechsler gegenüber besonders freundlich gezeigt hätte. Er hat nur die Augen vor seinen Schwächen verschlossen. Ich weiß nicht, weshalb er so einen Narren an ihm gefressen hatte; es ging schon so, als ich hier als Schreiber anfing, und das ist bereits ein paar Jahre her.«
»Vielleicht ist es Richter Girigel einfach nicht aufgefallen. Wenn Ihr seine Arbeit zu Ende gebracht habt, wie sollte er dann bemerken, daß Wechsler nichts taugte?«
Er zog eine Schnute und prustete verächtlich. Ich wußte selbst, daß mein Einwand töricht war; aus eigener Erfahrung war mir klar, daß ein Mann, der eine Gruppe von Helfern angestellt hat, nach kürzester Zeit sehr wohl weiß, wo die Starken und wo die Schwachen unter seinen Leuten sitzen.
Ich überlegte, ob ich ihm sagen sollte, daß man seinen ungeliebten Kameraden womöglich umgebracht hatte, aber dann entschied ich mich dagegen. Seine Zunge saß zu locker. Für mich war dies von Vorteil; zugleich aber stieß es mich ab, wie er sein Gift verspritzte. Ich hätte ihn nicht bei mir als einen meiner Schreiber haben wollen.
»So ist das wohl im Leben«, erklärte ich unverbindlich. Er winkte ab.
»Wir anderen mußten immer wieder für ihn in die Bresche springen«, führte er weiter aus. »Selbst am Feiertag war einer von uns anwesend, um dem Richter zu helfen.«
»Weshalb war er denn beurlaubt worden?« fragte ich.
»Ich weiß es nicht. Angeblich mußte er etwas Privates erledigen. Womöglich brauchte er ein paar Arzneien, weil er einer Schlampe ein Kind gemacht hatte.«
»Das hätte er doch auch von hier aus erledigen können.«
»Was weiß ich«, sagte er mißmutig. »Vielleicht mußte er nach Ingolstadt.«
Ich dachte, ich hätte nicht richtig gehört.
»Wohin?« stieß ich hervor. »Nach Ingolstadt?«
»Sagte ich das nicht? Er kam von daher. Der Richter hat ihn damals nach Landshut mitgebracht; er war wohl schon dort sein Gehilfe.«
»Aus Ingolstadt«, flüsterte ich.
»Richtig. Stellt Euch vor: Wechsler hat am Vorabend seines Urlaubs zu uns nicht einmal gesagt, daß er ein paar Tage nicht hier sei. Er hat es wohl mit dem Richter erst nach der Arbeit besprochen. Ein anderer Schreiber mußte Wechslers Dienst übernehmen.«
»Seinen Dienst?«
»Ja; am Tag vor Allerheiligen. Ich sagte Euch doch, daß einer von uns am Feiertag für ihn in die Bresche springen mußte.«
»Am Allerheiligentag!?«
»Am Mittwoch; richtig. Wir haben ihn am Dienstag abend zum letzten Mal gesehen.«
»Das ist bemerkenswert«, stammelte ich. Ich war mit
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