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Der Tuchhändler (German Edition)

Der Tuchhändler (German Edition)

Titel: Der Tuchhändler (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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vor einer Woche oder mehr zu Tode; auch seine Leiche wurde im Fluß gefunden.«
    Ich endete; ich hatte nicht vor, ihm noch mehr zu erzählen. Hanns Altdorfers Beteiligung, die Aktionen des jungen Löw – er brauchte nichts davon zu wissen. Ich beobachtete seine Reaktion, aber er lehnte nur bewegungslos am Fenster und sah mich an.
    »Ich mache Euch für alle diese Morde verantwortlich«, sagte ich.
    »Erklärt mir gütigst, welche Motive ich dafür haben soll.«
    »Vielleicht will ich das von Euch hören?«
    »Für dieses Vielleicht geht Ihr ein großes Risiko ein.«
    Ich sagte ungeduldig: »Lenkt nicht ab. Nun seid Ihr an der Reihe.«
    Er lachte leise, ohne seine Haltung zu verändern.
    »Habt Ihr gelogen?« fragte er.
    »Nein.«
    »Dann werde ich auch nicht lügen«, erklärte er leichthin. »Aber ich warne Euch – es wird Euch so vorkommen.«
    »Das könnt Ihr getrost mir überlassen.«
    »Ich wollte es nur gesagt haben.« Ganz unmotiviert streckte er seine rechte Hand aus, und ich war so überrascht, daß ich sie ergriff und schüttelte. Hinterher wurde mir klar, daß die Geste zu seinem überreichen Repertoire an theatralischen Ausdrucksmöglichkeiten gehörte.
    »Erlaubt mir, mich vorzustellen, Herr Peter Bern ward von Säldental«, sagte er. »Ich bin Johannes Reckel; der Sohn von Dietrich Reckel, dem Baumeister.«
    Ich hörte Lärm von der kleinen Seitengasse hereinkommen; eine Gruppe von Männern bewegte sich vom oder zu dem kleinen Flößertor und unterhielt sich lautstark, und die eng beieinanderstehenden Wände vervielfachten den Lärm und leiteten ihn geradewegs nach oben. Einer von ihnen machte eine Bemerkung, und die anderen brüllten erheitert: Die Gasse schien vor Lachen explodieren zu wollen. Ich hörte, wie jemand das Tor aufschloß und die Männer gutgelaunt hindurchscheuchte, dann hörte ich, wie es wieder zugeschlagen wurde. Es war wieder still in Wolfgang Leutgebs erbärmlich kahler Zelle von einem Arbeitszimmer; so still, daß ich vom Erdgeschoß das Scheppern von Töpfen vernehmen konnte: Jemand bereitete ein Essen zu. Es waren diese Geräusche, die mir verrieten, daß ich nicht träumte. Ich versuchte, meine Augen auf die massige Gestalt vor mir zu fokussieren.
    Der alte Mann mußte über siebzig sein. Was wollte er in Landshut? Späte Rache? Die ihm zwei gräßliche Morde wert war – und ihn zum Werkzeug von Mathias Corvinus machte? Plötzlich wurde mir klar, daß auch mein Leben in seiner Hand möglicherweise weniger wert war, als ich ursprünglich gedacht hatte. Er war kein Söldner – er hatte einen Grund zu hassen.
    »Warum habt Ihr sie ermordet?« flüsterte ich.
    Diesmal lächelte er nicht.
    »Ihr befindet Euch im Irrtum. Ich habe es nicht getan«, sagte er.
    »Dann war es einer Eurer famosen Totschläger. Was macht es für einen Unterschied?«
    Er schüttelte nachdrücklich den Kopf.
    »Ich bin an all den Toden, die Ihr aufgezählt habt, gänzlich unschuldig.«
    »Ich dachte, Ihr wolltet nicht lügen?« rief ich mit beißendem Sarkasmus; mein Zorn auf ihn wurde nur größer durch die Tatsache, daß ich fast bereit war, ihm zu glauben. Es war wie vorhin am Fuß der Treppe: Er strömte Wut aus, aber seine Wut schien gerecht, und er strömte etwas aus, das deutlich sagte: Ich habe es nicht nötig zu lügen.
    »Ich werde es Euch erklären«, seufzte er. »Vielleicht bin ich Euch doch mehr schuldig als nur meinen Namen.«
    Ich nickte stumm, und er drehte sich von mir weg und sah zum Fenster hinaus. Das Tageslicht war nur in einem schmalen Streifen des Himmels sichtbar, der zwischen den beiden Häuserwänden links und rechts der Gasse aufschien. Es war ein enger, langgestreckter Lichtstreif, aber er fing sich in seinen Augen. Sie blitzten in seinem dunklen Gesicht auf. Er sprach zum Fenster hin, doch ich konnte seine Worte mühelos verstehen. Ich wußte, daß er nicht zu mir sprach; er sprach zu seiner eigenen Vergangenheit, und seine Geschichte überbrückte die Jahre, die sein Alter ihm aufgebürdet hatte, und rührte an eine Wunde, die niemals geheilt war. Sie war nur verschorft; unter der Kruste schwärte und eiterte sie weiter und ließ ihn seit sechzig Jahren nicht zur Ruhe kommen. Er wollte reden, und als er sich durch die Präliminarien gearbeitet hatte, die seine Geheimnistuerei, sein Mißtrauen und seine Vorsicht ihm aufgebürdet hatten, gewann seine schneidend helle Stimme an Fluß. Es war nicht angenehm, ihr bei einer längeren Geschichte zuzuhören; aber es war auch nicht

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