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Der Tuchhändler (German Edition)

Der Tuchhändler (German Edition)

Titel: Der Tuchhändler (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Geschichte gehörten, die ihn letztlich hierher gebracht hatte, aber ich bezweifelte, daß ich an seiner Stelle darüber so offen gesprochen hätte.
    »Was wißt Ihr über den Bürgeraufstand?« fragte er.
    »Nicht viel; nur, daß er stattfand und daß der Herzog recht übel mit den Aufständischen umgesprungen sein muß.«
    Er schüttelte den Kopf; er schien fast ärgerlich zu sein, daß ich so wenig Ahnung hatte.
    »Dann muß ich Euch die Vorgeschichte erklären«, brummte er. »Ich glaube, wir setzen uns; es wird ein wenig Zeit in Anspruch nehmen.«
    So gelang es ihm schließlich doch, mich auf den niedrigen Hocker zu setzen und auf mich herunterzublicken; aber ich war mir sicher, daß er es diesmal ohne Hintergedanken tat. Er war trotz allem ein alter Mann, und er hatte das Stehen satt. Als er in Leutgebs Stuhl saß, ließ er sich darin zusammensinken, bis er nur noch die vorderste Kante der Sitzfläche mit seinem Hintern berührte; seine langen Beine streckte er links und rechts aus. Er schien es für eine bequeme Stellung zu halten.
    »Natürlich waren mir die Zusammenhänge damals nicht klar; ich habe nachgeforscht und nachgelesen und mit einigen der Überlebenden gesprochen, damit ich mir ein Bild machen konnte. Es stellt sich so dar, daß Herzog Heinrich, der zunächst die von seinen Vorgängern der Stadt gewährten Rechte bestätigte und zum Teil sogar erweiterte, plötzlich eine entgegengesetzte Politik wählte und sich weigerte, die Stadtfreiheit mit einem Freibrief zu gewährleisten. Zugleich brach er über verschiedene Kleinigkeiten Streitereien mit dem Stadtrat vom Zaun. Die Männer um meinen Vater vermuteten damals, es sei auf den Einfluß zurückzuführen, den seine Vormünder über den Herzog hatten: Zu jener Zeit war er noch ein Jüngling von gerade fünfzehn Jahren. Bald war es ein polizeilicher Übergriff innerhalb seines Rechtsgebiets, der Heinrich sauer aufstieß; bald waren es unrechtmäßige Pfändungen seines Besitzes. Nach einer Weile nahmen die Klagen einen handfesteren Charakter an: Daß die Stadtsteuer seit Jahren nicht mehr bezahlt worden sei, daß man dem Herzog die jährliche Gerichtsabgabe verweigere und daß sich unter dem Einfluß der Stadträte seine Münze so verschlechtert habe, daß ihm hoher Schaden daraus entstanden sei. Vielleicht hatten diejenigen recht, die glaubten, die von Heinrichs Vorfahren und von seinem eigenen Hofstaat verschwendeten Gelder sollten jetzt von der Stadt erpreßt werden.«
    Er wischte mit einer seiner weitausholenden Armbewegungen über die Tischplatte, als wollte er Platz machen für ein anderes Argument.
    »Mein Vater war der Ansicht, daß es Heinrich um politische Ziele gehe. ›Er wollte und will noch immer unsere Bestrebungen nach Selbständigkeit zurückdrängen‹ sagte er. ›Unsere Privilegien sind ihm beim Ausbau seiner Macht hinderliche.‹ Aber er setzte sich mit seiner Anschauung nicht durch; die Mehrheit der Männer unterstellte dem Herzog und seinen Beratern Geldgier. Sie riefen wild durcheinander, wie ich es schon bei mehreren Gelegenheiten erlebt hatte, und nannten bald den herzoglichen Kanzler, bald den Herzog selbst einen Teufel und steigerten sich in Tagträume hinein, wie sie die Vormünder des Herzogs vor sich her durch die Stadt treiben würden: demnächst, bald, in ein paar Wochen, noch vor der Auferstehung Christi – so tasteten sie sich gedanklich und verbal an den Tag heran, an dem sie alle Farbe bekennen und endgültig ihre Seite in dem Konflikt würden wählen müssen. Letztendlich spielte es wohl keine Rolle, welche Ziele sie Heinrich unterstellten. Nur manchmal denke ich daran, daß ihre lauten Beschimpfungen und Drohungen vielleicht auch ihre Unsicherheit ausdrückten, ob sie sich zu einem offenen Aufstand durchringen sollten oder nicht, und ich schaudere, wenn ich mir vorstelle, daß sie nur sehnsüchtig darauf warteten, daß einer aufstand und rief: ›Seid ihr alle verrückt geworden? Das können wir niemals wagen! ‹ Es stand aber niemand auf, und so nahm das ganze Verhängnis seinen Lauf, ohne daß einer von ihnen dies wirklich wollte. Christian Leutgeb, der Bruder von Wolfgang Leutgebs Großvater, war die eine Ausnahme unter ihnen. Leutgeb wußte, was er wollte, und wenn es nur Rache war dafür, daß man ihn soweit gedemütigt hatte, einen Urfehdebrief zu unterzeichnen, in dem er in vielen Einzelheiten versprechen mußte, seinen Bürgerstolz im Zaum zu halten. Er hatte genügend Charisma, daß sie ihm

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