Der Tuchhändler (German Edition)
Daniel Löw zu finden, ich würde den Namen des Mörders nicht bekommen. Ich konnte hinüber zum Rathaus laufen und die Wappner auf ihn hetzen, und vielleicht würde er doch reden, wenn man ihn auf die Streckbank schnallte oder das Bein seiner Tochter in den Stiefel steckte; vielleicht würde niemand einen Anschlag auf den Kaiser verüben, vielleicht würde die Hochzeit zwischen dem jungen Herzog und der polnischen Prinzessin stattfinden, aber Daniel Löw würde mit Sicherheit so tot sein, wie es der Flößer bereits war, und ich würde Reckeis Schreie und die seiner Freunde nachts in meinen Träumen hören. Ich riß die Tür auf und stürzte in die einbrechende Nacht hinaus, und vor Wut und Enttäuschung revoltierte mein Magen so sehr, daß ich würgte und husten mußte und mich gegen die Mauer lehnte, weil meine Beine nachgaben. Ich sah mich um und sah nichts. Ein Windstoß kam auf und fuhr durch die Gasse. Er roch nach Nebel und Feuchtigkeit wie ein offenes Grab auf einem verlassenen Totenacker. Plötzlich begann es zu regnen, kein feiner Nieselregen wie üblich, sondern der Beginn eines kräftigen, ausdauernden Landregens. Ich senkte den Kopf und schloß die Augen und spürte, wie mir die Regentropfen auf die Schultern trommelten.
11
A ls ich aufsah, stand Johannes Reckel vor mir. Ich hatte ihn nicht herauskommen hören. Er war barhäuptig und trug das Wams, das er auch im Hause angehabt hatte. Sein Gesicht war so bleich, daß die Augen darin wie Löcher und seine grauen Haare matt und schmutzig wirkten.
Er sagte: »Etwas möchte ich von Euch wissen.«
»Bitte«, erwiderte ich kraftlos.
»Ihr sagtet, Ihr würdet nicht einmal Euren eigenen Leuten vertrauen. Woher kommt diese Einstellung?«
Ich dachte daran, was Hanns Altdorf er über mein Leben und über den Tod Marias gesagt hatte. Ich dachte an die Töchter des Landadligen. Ich dachte an das Vertrauen, das sie alle in mich gesetzt hatten. Ich wollte sagen: Der Dank für zuviel Vertrauen ist der Tod. Doch dann dachte ich an Jana und wollte sagen: Es stimmt nicht mehr, was ich ausgesagt habe.
»Ich habe versucht, Euch zu vertrauen«, gab ich statt dessen zur Antwort.
»Es ist Euch schwergefallen.«
Ich nickte. Ich wollte nichts weiter dazu sagen. Ich wußte nicht, was ich ihm auf seine Frage hätte antworten sollen. Nach einer Weile fragte ich: »Warum vertraut Ihr niemandem?«
Er sagte geistesabwesend: »Eines Tages sprach mein Vater mit meiner Mutter. Er wußte noch nicht, was Christian Leutgeb geplant hatte, aber er ahnte, daß es ein Spiel mit dem Feuer würde. Er sagte zu ihr: ›Susänne, ich habe draußen unter dem Vorratskeller im Hof so viel von unserem Vermögen in Münzen vergraben, wie ich zu Geld machen konnte. Sollte mir etwas zustoßen, möchte ich, daß du es für Johannes verwendest^ Sie lachte und fragte, was um alles in der Welt ihm zustoßen solle. ›Ich habe noch niemals solchen Unsinn gehört: sein Geld zu vergraben‹, prustete sie. ›Und das ausgerechnet von einem so trockenen Mann wie dir. Haben wir vielleicht Krieg, oder müssen wir eine Belagerung der Stadt befürchten? ‹ Mein Vater starrte sie nur an. ›Vergiß es nicht‹, sagte er eindringlich. ›Es ist eine immense Summe. Sie wird es dir und unserem Sohn ermöglichen, überall eine neue Existenz aufzubauen‹ Nachdem sie eine Weile in sein ernstes Gesicht geschaut hatte, wurde auch sie ernst. ›Draußen unter dem Vorratskeller‹, sagte sie. Er nickte, und sie nickte ebenfalls. Danach sprachen sie nicht mehr davon.«
Ich blinzelte in den Regen und schaute zu ihm hoch. Er sah geradewegs auf mich herunter, ohne sich um das Wasser zu kümmern, das seine Haare gegen den Schädel geklatscht hatte und nun fein von seiner Stirn herunterperlte. Die Schultern seines Wamses färbten sich langsam dunkel.
»Mein Vater hatte sich nicht gescheut, vor mir zu sprechen«, fuhr er fort. »Während er sie informierte, war ich mit im Raum. Als während des Aufstandes meine Eltern zu Tode kamen und Heinz Eberlein mich fortschaffte, war ich vollkommen außerstande, ihm zu sagen, wieviel Geld dort vergraben läge; bis ich endlich zu mir fand und Worte darüber machen konnte, waren Wochen vergangen. Eberlein weigerte sich beharrlich, nach Landshut zurückzukehren oder auch nur jemanden damit zu beauftragen, sich um das Geld zu kümmern, wie sehr ich ihn auch bestürmte. Er hatte genug gesehen, um für den kurzen Rest seines Lebens nie wieder etwas von Landshut, dem Aufstand und den
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