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Der Tuchhändler (German Edition)

Der Tuchhändler (German Edition)

Titel: Der Tuchhändler (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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geworden; dennoch begann ich jetzt zu schwitzen. Konnte es sein, daß ich mich so getäuscht hatte? Daß ich einen so ungeheuerlichen Fehler begangen hatte?
    Mein nüchterner Verstand sagte: So weit kommt man, wenn man einem Fremden vertraut. Er hat sich aus dem Staub gemacht.
    Ich hob eine kraftlose Faust und ließ sie gegen die Tür fallen. Mir war nach einer Stütze, und ich lehnte mich dagegen. Ich war so entsetzt, daß mein Gehirn völlig leer war; ich erkannte, daß ich dem alten Mann mehr vertraut hatte, als mir selbst klar gewesen war.
    Dann hörte ich das Scharren und Schnappen eines Riegels, die Tür öffnete sich, und Konrad schaute heraus. Ich sah ihn an, unfähig, ein Wort zu sagen.
    »Kommt schon herein«, sagte er barsch.
    Ich folgte ihm wie auf Stelzen; er verschloß die Tür sorgfältig hinter mir und blieb dort stehen. Es war wie bei meinem Besuch gestern morgen: Reckel stand am Fuß der Treppe und schaute mir entgegen. Diesmal trug er eine Kerze, die die Hälfte seines verwitterten Gesichts beleuchtete; selbst unfreiwillig neigte er zu dramatischen Posen.
    »Was wünscht Ihr nun?« fragte er.
    »Es ist etwas passiert«, stammelte ich. Er musterte mich unbewegt, aber ich sah, daß sich seine Hand um das untere Ende der Kerze spannte. Mir wurde bewußt, daß ich kaum Erleichterung spürte, ihn zu sehen. Wenn ich in diesem Moment überhaupt etwas empfand, dann grenzenlose Müdigkeit.
    »Mit unseren Freunden?« zischte Konrad an meinem Ohr. »Mit unseren Freunden ist etwas passiert?«
    »Nein«, sagte ich, »nein.« Ich machte ein paar Schritte auf Reckel zu, ohne daß er oder Konrad mich aufgehalten hätten. Ich schaute ihm ins Gesicht; seine Züge waren so gespannt, daß seine Zähne zwischen den Lippen zu sehen waren.
    »Bitte«, hörte ich mich sagen. »Ihr müßt mich noch einmal anhören.«
    Seine Gesichtszüge veränderten sich nicht. Er starrte mich eine lange Weile an, in der er zu ermessen schien, ob ich verrückt geworden war oder ihn hereinlegen wollte oder ob er einfach träumte. Daß seine Leute noch immer im Gefängnis saßen und ich meinen Part unserer Vereinbarung noch nicht erfüllt hatte, mußte ihm mittlerweile klar geworden sein. Er erkannte meine Not; er kniff seine Augen zu schmalen Schlitzen zusammen, dann machte er mit dem Kopf eine Bewegung zur Treppe.
    »Gehen wir nach oben«, sagte er und drehte sich um, ohne zu warten, ob ich ihm folgte. »Ich habe lange überlegt, ob ich Euch öffnen soll oder nicht.«
    »Die Läden«, stotterte ich. »Ich dachte, Ihr hättet Euch davongemacht.«
    »Und ich dachte, Ihr wolltet mich in eine Falle locken.«
    »Denkt Ihr das jetzt nicht mehr?«
    Er blieb auf halber Höhe stehen und schaute mich nochmals an, als ob er nicht wagte, seinem Urteil aufs erste Mal zu trauen. Dann erklärte er mit unbewußter Arroganz: »Ich denke, daß Ihr mich im Moment dringender denn je braucht.«
    Seine Worte erfüllten mich mit Kälte; ich hörte nichts außer Berechnung in ihnen. Ich dachte: Er hat den jungen Löw tatsächlich als Geisel genommen. Als er sich abwandte und die Treppe weiter nach oben stieg, erfüllte mich wilde Lust, ihn zu packen und auf ihn einzuschlagen.
    Er stellte die alte Konstellation wieder her: Ich saß auf dem Hocker, er hinter dem Tisch in Wolf gang Leutgebs Arbeitszimmer. Er schwieg wiederum, bis ich einen Anfang gefunden hatte.
    »Einer meiner Freunde hat einen Sohn«, sagte ich mühsam. »Er weiß über den Mordfall Bescheid. Ich verdanke ihm einiges, und er ist der einzige männliche Erbe meines Freundes. Der junge Mann ist gestern nicht nach Hause zurückgekehrt.«
    Er sah mich an und antwortete nach einer kleinen Pause: »Was habe ich damit zu schaffen?«
    »Auch er hat eine Weile Euer Haus beobachtet, ohne daß ich davon wußte.«
    Er regte sich nicht; nur der Blick seiner Augen wurde durchdringender.
    »Möglicherweise ist er Euch auch aufgefallen, so wie ich«, sagte ich garstig.
    »Ihr meint, ich hätte ihm jemanden auf den Pelz gehetzt«, folgerte er nüchtern.
    »Ich will mich nicht wieder mit Euch im Kreise herumdrehen. Habt Ihr es getan, oder haltet Ihr ihn irgendwo gefangen? Antwortet mir.«
    »Warum sollte ich so etwas tun?« fragte er ruhig.
    »Vielleicht, um eine Geisel zu haben, damit ich Eure Männer auch wirklich aus dem Verlies heraushole.«
    Er lächelte müde. Er war nicht einmal beleidigt.
    »Natürlich«, sagte er, »natürlich müßt Ihr so denken. Jetzt erst verstehe ich. Aber Eure Überlegungen sind

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