Der Tuchhändler (German Edition)
einzigen Gelegenheiten, zu denen ich die Heilige Messe besuchte, seit ich Bischof Peter verlassen hatte: die Totengedenken an meine Frau. Ich zahlte dem Priester einen großzügigen Betrag, nachdem die späten Kirchenbesucher den Bau verlassen hatten, und vernahm seinen Segenswunsch, ohne ihn wirklich zu hören. Als ich die Geschichte mit der heimlichen Geliebten erfunden hatte, war mir niemals in den Sinn gekommen, daß ich damit das Andenken an Maria beschmutzen könnte. Nicht einmal während der Beerdigung der Getöteten auf meinem privaten Gottesacker hatte sich dieser Gedanke eingestellt. Jetzt, in der kalten Kirche, umgeben vom Duft des Weihrauchs und dem Gemurmel der alten Weiber, die sich uneingeladen zu der Messe eingefunden hatten und die weder mich noch Maria jemals gekannt hatten, plagte mich dieser Gedanke mit aller Macht.
Ich ritt bedrückt durch die Dunkelheit nach Hause, begleitet von etlichen Bauernkarren, deren Lenker dem Wein in den städtischen Schenken zu lange zugesprochen hatten. Der Roßknecht nahm mein Pferd in Empfang und stellte es im Stall unter, und ich begab mich in meine Schlafkammer, ohne nochmals die Stube aufzusuchen. Ich schlüpfte unter die Decke und schloß die Türen des Bettkastens. Eine Weile starrte ich in die absolute Finsternis und war trotz meiner Erschöpfung sicher, keinen Schlaf finden zu können; aber der Körper forderte sein Recht und zog mich in die Bewußtlosigkeit hinunter.
Einmal wachte ich auf und glaubte, daß es erneut an meiner Schlafkammertür gepocht hatte, und ich lag verkrampft unter der Decke und spürte, wie mir der Schweiß ausbrach. Am nächsten Morgen erwachte ich mit den ersten Rufen der Hähne. Ich hatte eine vage Erinnerung an einen Traum, in dem ich mit Maria am frischen Grab der toten Polin stand und Maria mit zärtlicher Sorgfalt ein kleines Sträußlein Wiesenblumen auf den niedrigen Erdhügel legte, und ich spürte mit der Hand über mein Gesicht, erfühlte die Spuren nächtlicher, unbewußt vergossener Tränen und fühlte mir verziehen.
Die Sonne wurde des Nebels an diesem Morgen schneller Herr, und als sich die letzten weißen Fetzen auflösten, kletterte ich auf mein Pferd und machte mich auf den Weg zur Stadt. Das Wetter versprach einen herrlichen, spätherbstlichen Tag, dessen Luft jene Klarheit hatte, die ich an dem feuchten Klima meiner Wahlheimat zumeist vermißte. In Augsburg, wo ich aufgewachsen war und von wo mich der Unmut des Bischofs vertrieben hatte, waren solche Tage im Frühling und im Herbst die Regel gewesen; hier in Landshut waren sie die Ausnahme. In Augsburg hatte ich oftmals vom Turm des Doms aus die zartblauen Umrisse der fernen Berge gesehen, die durch irgendeinen Zauber oder durch eine merkwürdige Zusammensetzung der Luftschichten in eine beinahe greifbare Nähe gerückt waren. In Landshut war mir dies bisher nur einmal geschehen, an einem Tag, der den Himmel in Flammenfarben getaucht hatte und an dem sich mein Gesinde fortwährend bekreuzigte und über schlechte Vorzeichen murmelte, während mein Verwalter ein sauertöpfisches Gesicht machte und über Kopfschmerzen klagte. Vielleicht hätte man heute in Augsburg das Blinken der schneebedeckten Bergflanken wieder gesehen. Hier reichte es zumindest aus, die prächtigen Bauten der Stadt klar und wie frisch gewaschen dem Betrachter zu präsentieren.
Das Land, auf dem mein Hof lag, befand sich inmitten des weiten Isartales. Bis zum Bau des Zisterzienserinnenklosters mußte es eine gewaltige sumpfige Wiese gewesen sein, die der Pfettrachbach in regelmäßigen Abständen überschwemmte und die nur die wenigen kleinen Anwesen der Landpächter ernährte, die sich darum gruppierten. Die Bauarbeiten des Klosters hatten dazu geführt, daß sich Tagelöhner und Handwerker vor seinen Toren ansiedelten, die durch Entwässerungen und Uferbefestigungen das Säldental nutzbar machten. Heute war zwischen dem Tor des Frauenkonvents und der Stadtmauer kaum noch eine freie Fläche zu finden. In der anderen Richtung hingegen, nach Norden, lagen außer meinem umfangreichen Landstück nur noch wenige kleine Bauernkaten, die sich bis zu den nördlichen Hängen des Isartales verstreuten. Sie bildeten zusammen mit meinem Land, dem Kloster und den Heimen der vom Wirtschaftsbetrieb des Klosters Lebenden ein immer dichter werdendes Netz von Wohnstätten, das schließlich zur Stadt selbst hinführte.
Mit den Außenbezirken mochten etwa zehntausend Menschen in Landshut leben. Auf einem
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