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Der Tuchhändler (German Edition)

Der Tuchhändler (German Edition)

Titel: Der Tuchhändler (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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führten, verrieten mir, daß sie zwar ungeschlachte Kerle, aber doch wenigstens Pferdekenner waren.
    Der Boden im Innenhof bestand aus festgestampftem Lehm, den man mit Stroh und Reisig aufgestreut hatte. Das feuchte Herbstwetter und die vielen Pferdehufe und Stiefel hatten ihn in eine Landschaft verwandelt, die einem frisch gepflügten Feld glich. Zahlreiche Pfützen und Lachen glänzten im Sonnenlicht. Es war ein enger Hof, bedrängt durch den wuchtigen Bau des Wohngebäudes zur Linken und die Wirtschaftsgebäude am jenseitigen Ende. Nur ein Teil davon war von der Sonne beschienen; der hohe Giebel des Wohngebäudes warf seinen schweren Schatten über den Rest.
    Der Enge zum Trotz hatten die Polen den Innenhof in ein Übungsgelände für die bevorstehenden Turniere verwandelt. Eine Stechpuppe stand im hinteren Drittel, die untere Hälfte bereits vom Schatten des Wohnhauses verdunkelt: ein Sandsack mit einem verbeulten Helm obenauf und einer langen Stange, die an der Stelle durch den Sandsack gesteckt war, an der sich bei einem Menschen die Arme befunden hätten. Das eine Ende der Stange trug einen kleinen runden Schild, das andere Ende einen freischwingenden Dreschflegel. Die Basis der Puppe ruhte in einer einfachen Mechanik, die es ihr gestattete, sich um ihre senkrechte Achse zu drehen: Wer an den kleinen Schild stieß, löste damit unweigerlich ein schnelles Herumschwingen der Puppe und des Dreschflegels am anderen Ende der Stange aus. Die Puppe diente dazu, die Geschicklichkeit des Turnierreiters zu festigen und zu erhöhen. Sie war ein sinnvolles Instrument – sie übernahm die Bestrafung des Ungeschickten selbst, sofort und mit unparteiischer Grobheit. Als ich zum Hof hereintrat, sah ich eben einen der Polen in einem leichten Lederhaubert gegen die Puppe anrennen. Er traf den Schild exakt, aber das Aufprallgeräusch der hölzernen Lanzenspitze erschreckte sein Pferd, und anstatt weiterzurennen, stemmte es für einen kurzen Augenblick die Hufe in den Boden. Der Dreschflegel schwang mit täuschender Trägheit herum, der Übende versuchte sich zu ducken, und dann kamen mit einem trockenen Geräusch Flegel und Kopf in Berührung. Das Pferd machte einen Satz, daß der Reiter beinahe aus dem Sattel gefallen wäre, und alle Umstehenden grinsten. Er fand sein Gleichgewicht wieder, faßte sich an seinen schmerzenden Hinterkopf und sah sich mißmutig um. Ich erkannte mit Vergnügen, daß der Reiter Albert Moniwid selbst war.
    Er steckte die Lanze in einen Halter, faßte die Zügel und trabte aus der Übungsbahn, um einem anderen Mann Platz zu machen. Sein Nachfolger hatte mehr Glück: Auch er traf den Schild, aber sein Pferd blieb gelassen und trug ihn sicher aus der Bahn des herumschwingenden Dreschflegels. Die Puppe drehte sich ein paarmal um sich selbst, bis sie von zwei herbeieilenden Knappen wieder ruhiggestellt wurde. Der polnische Ritter wendete sein Pferd mit bewundernswerter Geschicklichkeit in vollem Lauf in dem engen Hof und sprengte mit einem triumphierenden Aufschrei an der Stechpuppe vorbei zurück zu seinen Genossen. Moniwid nickte, dann lenkte er sein Pferd auf mich zu, noch immer die Beule an seinem Kopf reibend. Mir war klar, daß er mich mit seinem Auftritt hatte beeindrucken wollen. Daß es ihm nicht gelungen war, konnte seine mürrische Laune kaum verbessern. Sein Gaul war hochnervös, und ich kannte mich mit Pferden genügend aus, um erkennen zu können, daß es schwierig genug gewesen war, ihn mit der bedrohlichen Lanze direkt neben seinem Kopf auch nur halbwegs gerade auf die Puppe losgaloppieren zu lassen, aber ich hatte keine Lust, dem Polen dafür den angebrachten Respekt zu bezeigen. Ich sah schweigend zu ihm empor. Er verzog das Gesicht und sagte: »Die Beule schinerzt fast so sehr wie Euer Anblick, Herr Kaufmann. Was wollt Ihr von mir?«
    »Ich muß mit Euch sprechen.«
    »Habt Ihr den Mörder etwa schon gefunden?«
    Ich sah zu ihm hinauf, groß und mächtig auf seinem wuchtigen Streitroß sitzend. Ich fragte mich, ob ich den Gaul mit jener famosen goldenen Decke vor mir hatte, die in Wittenberg genug Aufsehen erregt hatte, daß sich der Tratsch bis in Hanns Altdorf ers Amtsstube fortgepflanzt hatte. Das Pferd liebte es nicht stillzustehen und tänzelte unruhig von einem Fuß auf den anderen. Moniwid hielt die Zügel straff angezogen, so daß der Unterkiefer des Tieres eng gegen seinen Hals gepreßt wurde. Die Luft zum Atmen wurde ihm dadurch knapp, und es versuchte sich zu befreien; es

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