Der Tuchhändler (German Edition)
damit sagen …?«
»Ich will damit sagen, daß derjenige, der sie erdrosselt hat, weder davor noch danach Verkehr mit ihr hatte; sich aber gewaltige Mühe gab, einen solchen vorzutäuschen. «
»Weshalb sollte jemand so etwas tun?«
»Das frage ich Euch, Herr Bern ward.«
Ich sah von der Toten auf in sein blasses, verschlossenes Jungengesicht. Ein Verdacht keimte in mir auf, der so ungeheuerlich war, daß mir der Atem ausging.
»Glaubt Ihr, ich selbst wäre es gewesen?« keuchte ich. Er starrte mich weiterhin an, dann schüttelte er plötzlich den Kopf.
»Das nicht«, sagte er. »Ich habe mir Eure Hände angesehen. Sie passen nicht zu den Würgemalen an ihrem Hals. Und ich habe noch etwas entdeckt.« Er schob eine Hand vorsichtig unter den Nacken der Toten. Trotz der Leichenstarre konnte er ihren Kopf leicht hin und her bewegen.
»Das Genick ist gebrochen. Der Mörder hatte nicht genügend Kraft, sie vollends zu erwürgen, oder er hatte nicht genügend Zeit. Ich denke, er hat ihr, als sie schon halb besinnungslos war, buchstäblich den Hals umgedreht. Was den Zeitfaktor angeht, kann ich nichts dazu sagen, aber von der Statur her wärt Ihr durchaus in der Lage, einen Menschen durch Erdrosseln zu Tode zu bringen. Ihr hättet es nicht nötig gehabt, ihr noch das Genick zu brechen. Womit ich Euch nicht beleidigen will, Herr Bernward, ich will Euch nur sagen, daß ich Euch nicht für den Täter halte. Dennoch …«
»Was?«
»Dennoch scheint mir in diesem Licht die Geschichte, die Ihr erzählt habt, ein wenig fragwürdig. Ganz abgesehen davon, daß dies meine erste Hofmagd ist, deren Haut so blaß ist wie die einer Edeldame und die sich den Aufwand leistete, ihre Scham gründlich auszurasieren.«
Ich starrte ihm wortlos ins Gesicht. Mein Mund arbeitete, aber ich brachte nichts hervor. Ich fühlte, daß meine Wangen brannten. Ich konnte ihn davonschicken, ohne ihm weiter Rede und Antwort zu stehen, ich konnte ihm eine neue Lügengeschichte erzählen, ich konnte ihm die Wahrheit erzählen und ihn mit des Herzogs tiefer Geldtruhe im Rücken fürstlich bestechen; ihn und den Totengräber, der regungslos gelauscht hatte und den Blick weiterhin nach einem Ort gerichtet hatte, in dem verwaiste Jungen, die Pesttote zu den Massengräbern vor den Stadttoren schleppen, einsame alte Männer, die einen merkwürdigen Tod zu verbergen haben, und erdrosselte junge Frauen nicht vorkamen. Ich konnte mich auch entschließen, ihm zu vertrauen, was ich wohl schon von Anfang an hätte tun sollen. Ich senkte den Kopf und stützte mich hart auf die behelfsmäßige Bahre, und der Ruck ließ das Haupt der Toten leicht zur Seite fallen, bis ihre blinden Augen direkt in die meinen zu starren schienen.
»Es handelt sich um die Nichte des polnischen Königs«, sagte ich.
Ich hörte, wie der junge Löw erschreckt Atem holte; ich blickte auf und sah ihn an und den Totengräber, dessen Blick aus der Ferne zurückgekehrt war und der mich jetzt mit zusammengekniffenen Augen musterte.
»Man hat sie heute nacht ermordet aufgefunden und mich gebeten, den Fall so verschwiegen wie möglich zu klären.«
»Wer hat sie aufgefunden?« unterbrach mich der Apothekerssohn.
»Männer, die über jeden Zweifel erhaben sind«, erwiderte ich. »Genügt es Euch, wenn ich sage, daß ich ihre Namen um Eurer eigenen Sicherheit willen nicht nennen kann?«
Er schluckte und nickte heftig mit dem Kopf.
»Ich erzähle Euch dies«, fuhr ich fort und faßte sowohl den jungen Mann als auch den Totengräber scharf ins Auge, »in der Hoffnung, daß Ihr die Tragweite dieses Falles überblicken könnt. Es darf nichts davon an die Ohren des polnischen Königs dringen. Aus diesem Grunde habe ich Euch die Unwahrheit erzählt; ich wollte den Kreis der Wissenden so klein wie möglich halten, und ich wollte vermeiden, Euch in Gefahr zu bringen. Um diese Geschichte zu vertuschen, wird man vor drakonischen Maßnahmen nicht zurückschrecken. «
»Ihr braucht nicht zu drohen«, sagte der Totengräber ruhig. »Wir haben Euch verstanden.«
Ich ging nicht auf ihn ein.
»Werdet Ihr schweigen?« fragte ich die beiden Männer.
Nach einigem Zögern nickte der junge Löw. Er murmelte: »Ich sehe Sinn in Euren Worten. Und ich sehe, welche Tragödie daraus erwachsen kann.«
»Was ist mit Euch?« Ich wandte mich an den Totengräber. Er zuckte mit den Achseln.
»Ich bedauere den Tod dieser jungen Frau«, sagte er zu meinem Erstaunen. »Er war unnötig und grausam. Was für die hohen
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