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Der Tuchhändler (German Edition)

Der Tuchhändler (German Edition)

Titel: Der Tuchhändler (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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Versäumnis: Mit einsetzender Dunkelheit hätte es durchaus sein können, daß sich ein Licht hinter den verhängten Fenstern entzündet und mir die allerletzte Gewißheit gegeben hätte, daß sich jemand in dem verfallenden Gebäude herumtrieb, der dort nicht hingehörte. Aber nachdem sich die ganzen Stunden über nichts geregt hatte, war ich unsicher geworden. Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr schien mir die brennende Kerze gestern wie eine Täuschung der Augen oder eine Spiegelung im Fensterglas, und ich ritt unbefriedigt nach Hause, ohne den Stadtkämmerer aufzusuchen.
    Ich nahm meine Runden am Sonntag morgen wieder auf, diesmal in der Menge der morgendlichen Kirchenbesucher versteckt, die in jeglicher Richtung durch die Gasse zogen. Das Wetter war nun schon den zweiten Tag schlecht, mit einzelnen nieselnden Regenfällen und einer feuchten Kälte, die einem den Atem vor dem Mund stehen ließ, wenn man tief genug ausatmete. Ich kannte diese Witterung mittlerweile gut genug. Sie würde lange anhalten und den üblichen Unmut der Landshuter Bürger wecken: Jeden November klagten sie über die trübselige, neblige Feuchtigkeit, die sie nun fast ein halbes Jahr einhüllen würde, und fragten sich, womit sie diese Unbill verdient hätten.
    Infolge der tiefhängenden Wolkerfdecke wurde es zu keiner Stunde richtiggehend Tag. Vor allem das Schwemmlandstück vor der Stadtmauer, auf dem die Flößer lagerten, schien sich unter dem düsteren Licht zu ducken, in dem sich Menschen und Bauwerke nur verschwommen abbildeten und das flackernde Feuer am Flußufer einen grellen goldfarbenen Punkt darstellte. Ich hatte mir etwas zu essen in einen Beutel eingesteckt, und ich stand am Flußufer vor der Stadtmauer und kaute hungrig an einem Kanten Brot, während das Licht noch düsterer wurde und sich schließlich von Grau zu Blau färbte. Ich war überrascht, als ich die Vesperglocken hörte; der Tag war leise und unbemerkt zwischen meinen Fingern zerronnen, wie es solche zwielichtigen Herbsttage an sich haben.
    Ich fühlte mich ratlos. Ich war mir mittlerweile beinahe sicher, daß meine Runden tagsüber vergebene Liebesmüh darstellten; wenn sich jemand blicken ließ, dann vermutlich zur Nachtzeit. Andererseits sah ich keine Möglichkeit, nachts unauffällig einem Menschen zu folgen, der etwa das Haus verließ; tagsüber wäre es eine leichte Übung gewesen. Ich wußte nicht, wie ich diesem Dilemma begegnen sollte. Wie oft, wenn man nicht weiß, wie man weitermachen soll, setzt man seine bisherige Tätigkeit fort und hofft, der Heilige Geist möge dabei über einen kommen – und so tat auch ich das gleiche: Ich beschloß, noch eine letzte Runde zu drehen, bevor ich mich nach Hause zurückbegab.
    Ich hatte die Front des Hauses vorhin erst passiert, bevor ich nach draußen vor die Stadtmauer getreten war; daher marschierte ich zunächst in die Altstadt, um etwas Zeit verstreichen zu lassen. Die Gasse, in der Sebastian Löws Apotheke lag, war düster. Das unruhige Licht der Fackeln, die an der Fassade des Rathauses drüben in der Altstadt steckten, warf matte Flecken und graufarbene Schatten herein und störte eher, als es half. Ich schritt hindurch und hörte meine Tritte an den Häuserwänden widerhallen. Als vorne eine gedrungene Gestalt wie ein Schattenriß auftauchte, stockte ich unwillkürlich, aber es war nur ein Stadtknecht, der neugierig in die Gasse hereinspähte und auf meinen Gruß mit einem gelassenen Kopfnicken reagierte. Ich drückte mich an ihm vorbei in die Altstadt hinaus und war aus keinem bestimmten Grunde froh, die Gasse hinter mir gelassen zu haben.
    Ich wandte mich südwärts, in Richtung der Baustelle. Als ich am herzoglichen Zollhaus vorüberkam, sah ich, daß dessen Türen weit offen waren; zwei Männer standen mit einer Fackel gleich hinter dem Eingang und blickten mir entgegen. Einer der beiden machte ein finsteres Gesicht; der andere schien mir vage bekannt, aber erst, als ich näher herangekommen war, erkannte ich Wilhelm Trennbeck, den Stellvertreter des Stadtrichters. Sein Begleiter bewegte sich nicht, sondern starrte nur weiter düster vor sich hin. Gestern nachmittag hatte ich Lärm und Klopfen aus dem ersten Stock des Zollhauses und seines Nachbargebäudes gehört und einen der müßig herumstehenden Gaffer gefragt, was dort vor sich gehe. Ich hatte erfahren, daß man Türen in die Trennwand zwischen den beiden Gebäuden brach, um Platz für einen Speisesaal für die geladenen Fürsten zu

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