Der Tuchhändler (German Edition)
schaffen, und daß dies dem Besitzer des dem Zollhaus benachbarten Gebäudes, dem Herrn Contzen von Asch, trotz einer ansehnlichen Entschädigungssumme nicht recht gefallen wollte. Ich nahm an, daß der schlecht gelaunte Mann Contzen von Asch selbst war; aber ich drehte mich nicht um, auch nicht, als die Stimmen der beiden sich plötzlich erhoben wie im Streit. Ich wußte, daß ähnliches auch im Haus von Hanns Altdorfer passierte, in welchem das Brautgemach eingerichtet wurde: Man brach eine Tür vom Tanzsaal des Rathauses in den Raum, der das Brautgemach beherbergen sollte, um den ungehinderten Zugang vom Brauttanz zum Beilager zu gewährleisten.
Ich nahm die zweite, weiter südlich liegende Gasse, über die man von der Altstadt aus die Ländgasse erreichen konnte. Sie führte in einer weiten Rechtskrümmung von der Altstadt fort und an den Fronten einiger Stadel vorüber, deren Ladebalken wie leere Galgen von den Dachfirsten ragten. Sie war ebenso ausgestorben wie die Gasse, in der Sebastian Löws Apotheke lag, und noch um einiges trüber. Ich stolperte durch den aufgeweichten Lehmboden und versuchte, mich von den Rändern der Gasse fernzuhalten. Wie kleine, unregelmäßige Bäche flössen die Fäkalien unten an den Hausmauern entlang; ich hatte kein Verlangen danach, daß sich zu dem klebrigen Lehm auch noch Kot und verfaulende Essensreste an meine Stiefel hefteten. Es war gar nicht so einfach, dem Dreck auszuweichen: Die Hauswände standen eng zueinander, und in dem aufgewühlten Boden suchten sich die flüssigen Bestandteile der Jauche ihren eigenen Weg. Als ich endlich in die Ländgasse hinaustrat, war ich erleichtert. Ich blickte in den Himmel, der sanft und tiefgrau über den Hausdächern lag. Es roch nach Rauch und nassem Lehm. Der Duft des Abendmahls, das überall gekocht wurde, vermochte nicht bis hierher vorzudringen, auch nicht das Scheppern aus dem einen oder anderen Kellerfenster, hinter dem eine Küche arbeitete. Ich hörte nichts außer einem gelegentlichen gedämpften Ruf aus der Altstadt und das leise Gezeter der Möwen und Krähen draußen am Flußufer. Ich wandte den Blick vom Himmel ab, dann wanderte ich wieder an dem altem Haus vorüber und versuchte, nicht zu auffällig in die blinden Fensterscheiben zu starren.
Es gab mehrere Möglichkeiten, sich eine Weile auf unverdächtige Weise in der Nähe eines Hauses aufzuhalten. Ich hatte sie im Laufe der letzten beiden Tage alle ausprobiert: Man konnte einen zufällig des Weges kommenden Menschen aufhalten und sich als Ortsfremder ausgeben, der um einige Auskünfte bat; man konnte gerade vor dem zu beobachtenden Haus ein Problem mit seinen Schuhen (mit dem Mantel, der Mütze, dem Gürtel, als Berittener: mit allen möglichen Utensilien an und um das Pferd) bekommen und anhalten müssen; man konnte mit weitausholenden Armbewegungen so tun, als würde man Häuser zählen und die Ergebnisse auf eine imaginäre Tafel kritzeln; man konnte an einem der benachbarten Stadel klopfen, als suche man jemanden, und hoffen, daß einem für eine lange Weile niemand öffnen würde. Wichtig war, daß man nicht immer die gleiche Erscheinung bot, und so hatte ich meinen Mantel entweder angezogen oder als Umhang um die Schultern gehängt oder lose im Arm (man mußte nur aufpassen, daß man mit der jeweils herrschenden Witterung konform ging) oder gar das Innenfutter nach außen gewendet, was ihm ein völlig neues Aussehen und Farbe gab. Mit der Zeit war ich so damit beschäftigt, meinen jeweiligen Aufenthalt vor dem alten Haus deutlich sichtbar zu erklären, daß meine Konzentration sich eher auf meine wechselnden Verstellungen als auf das Haus selbst richtete. Dies und wohl auch meine mittlerweile eingetretene Erschöpfung mochten daran schuld sein, daß ich den Mann erst nach einigen Momenten erblickte.
Den Mann, der im ersten Stock des Hauses in einem der Fenster stand und finster auf mich herabblickte.
Ich hatte die ganze Zeit überlegt, was ich tun würde, sollte ich unverhofft auf einen der mysteriösen Hausbewohner stoßen. Ich würde mit einem nachlässigen Kopfnicken grüßen, an ihm vorbeigehen, mir sein Aussehen und seine Kleidung einprägen, in die nächste Seitengasse huschen und ihm dann mit weitem Abstand folgen. Ich würde mir jedes Haus und jeden Menschen merken, bei dem der Verfolgte vorsprach, und mit diesem Wissen Hanns Altdorfer versorgen, damit er entweder weitere Erkenntnisse abwarten oder mit einem großen Aufgebot an Stadtknechten
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