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Der Tuchhändler (German Edition)

Der Tuchhändler (German Edition)

Titel: Der Tuchhändler (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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zuschlagen und Verhaftungen vornehmen konnte.
    All das war meinem Gehirn jetzt völlig entschwunden. Ich sah die dunkle Gestalt im Fenster stehen, vage erleuchtet von einer kleinen Lichtquelle, die sich hinter ihr im Zimmer befinden mußte, und prallte vor Schrecken zurück; fast wäre ich gestolpert. Erst später wurde mir klar, daß er sich so aufgestellt hatte, daß ich ihn sehen mußte; er hatte sogar noch dafür gesorgt, daß ein wenig Licht auf ihn fiel. Ich stand im Schmutz der Gasse, mein Herz klopfte so wild, daß es mich in der Kehle würgte, und ich starrte gebannt zu dem Fenster empor, ohne mich noch zu regen.
    Ich weiß nicht, wieviel Zeit so verging: Ich in der finsteren Gassenschlucht, reglos, starr vor Schreck und Überraschung, mit offenem Mund nach oben gaffend, und er oben hinter der blinden Fensterscheibe und der zerbröckelnden Mauer, schweigend, eine massige Gestalt, die sich vom helleren Hintergrund des beleuchteten Zimmers abhob wie ein Schatten, der jeden Moment dunkle Schwingen entfalten und sich auf mich herabstürzen würde. Dann kehrten Leben und Verstand in mich zurück, und ich tat, was ich für das Nächstliegende hielt: Ich räusperte mich, spuckte auf den Boden und begann, mit lallender Stimme ein Trinklied zu grölen; ich tat, als könne ich mich nur mühsam auf den Beinen halten, und torkelte die Gasse hinunter, ohne mich noch einmal umzublicken, bis ich die nächste Stichgasse zu einem der Flößertore erreichte. Dort stolperte ich hinein, prallte gegen eine Hausmauer und lehnte mich dagegen. Mein Herz wollte fast zerspringen, und meine Hände zitterten. Mir war so übel, daß ich mich hätte übergeben können, aber mein Magen war leer, und ich würgte nur trocken. Plötzlich merkte ich, daß mein Körper naß von Schweiß war.
    Als ich zu frieren begann, stieß ich mich wieder von der Hausmauer ab und spähte zurück in die Ländgasse hinein. Von hier war die Front des Hauses nicht zu sehen, aber man konnte die Gasse bis zu ihm hin überblicken. Ich versicherte mich, daß niemand in der Gasse stand und nach mir Ausschau hielt. Ich zog den Kopf zurück und atmete auf. Ich spürte mein Herz noch immer in der Kehle, aber mein Atem hatte sich wieder beruhigt. Ich fühlte Erleichterung, daß mir niemand auf den Fersen war, und zugleich dachte ich erbittert: Ich habe es verdorben. Im nachhinein erschien mir meine Verstellung als Betrunkener so lächerlich, daß ich am liebsten meinen Kopf gegen die Wand geschlagen hätte.
    Ich schlich nach draußen vor die Stadtmauer, um mein Pferd zu holen; mein Hirn war leer. Ich sagte mir: Es war zu dunkel in der Gasse; er hat dein Gesicht nicht gesehen und von deiner Gestalt bestenfalls einen vagen Umriß. Aber ich wußte selbst, daß es leeres Geschwätz war. Der Mann im Fenster hatte auf mich gewartet; er hatte gewußt, daß ich über kurz oder lang nochmals vorbeikommen würde, und das hieß, er hatte gewußt, daß ich das Haus beobachtete. Während all der Zeit, in der ich mir eingebildet hatte, ihn zu belauern, hatten seine Augen auf mich herabgestarrt.
    Die Flößer winkten, als ich mein Pferd losband, und riefen mir etwas zu, aber ich ignorierte sie. Ich fühlte mich schlecht. Das Pferd stolperte durch den Kies, flußaufwärts am Ufer der Isar entlang, bis ich das Ländtor erreichte. Die Wappner dort wiesen mich ab, und ich mußte bis zum Judentor reiten, an den herzoglichen Fischweihern vorbei und die steile Böschung hoch, die zur Straße hinaufführte. Die Torwachen dort ließen mich ein. Ich ritt durch die einsame, dunkel liegende Altstadt, passierte ohne Zwischenfall das Spitaler und das Innere Isartor, ritt mit weit hallendem Hufgeräusch über die erste der beiden Holzbrücken, von der aus man den kleinen Lichtpunkt des Flößerfeuers über das Wasser tanzen sah, und durchquerte das provisorische Gerüst des Äußeren Isartors. Ich wurde von einem Wappner aufgehalten und ausgefragt, doch ich erregte keinerlei Aufsehen. Schließlich stand ich an der Stelle, wo das Terrain gleich hinter dem Tor in die weite Flußniederung überging, in der das Kloster der Zisterzienserinnen und die kleine Pfahlsiedlung darum lagen. Das Gelände war dunkel, und es war keine Menschenseele zu erblicken. Ich fühlte, wie ein Kribbeln meinen Rücken hinunterlief. Ich wandte mich um, aber der Wappner hatte das Tor bereits geschlossen. Es dauerte einen Moment, bis ich den Impuls unterdrückt hatte, dagegen zu schlagen und wieder Einlaß zu fordern.
    War es

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