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Der Tuchhändler (German Edition)

Der Tuchhändler (German Edition)

Titel: Der Tuchhändler (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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es bereits Nachmittag. Der Nieselregen hatte alle, die sich vielleicht noch vor der Abendmesse die Beine vertreten hatten wollen, in ihre Behausungen verscheucht. Die Fackeln an den Hauswänden kämpften lustlos gegen die Nässe an, die sich über das holprige Pflaster senkte. Mein Pferd stand noch da, wo ich es verlassen hatte, mit hängendem Kopf dem Regen ergeben. Die Wachen vor dem Rathauseingang waren auf zwei verstärkt worden; einer davon streichelte dem Pferd über die Flanke, während sich der andere so weit wie möglich in den Bogen über der Eingangstür drückte, um dem Regen zu entgehen. Als ich mich ihnen näherte, versperrten sie mir mit gekreuzten Spießen den Durchgang. Ich wandte mich an denjenigen, den ich von heute morgen kannte.
    »Laßt mich ein«, sagte ich. »Ich war bereits heute morgen hier. Ich bin ein Freund des Stadtkämmerers. Dies ist mein Pferd.«
    »Stimmt«, sagte er. Er zeigte entschieden mehr Elan als heute früh; vielleicht weckte die weite, einsame Straße und die hereinbrechende Dämmerung ein Gefühl des Mißtrauens. Unwillkürlich dachte ich an den gestrigen Abend. Würden sie mir heute nochmals auflauern?
    Er ließ mich passieren. Der zweite Wächter war ein junger Mann, dessen Gesicht unter dem Helm das eines kleinen Buben war und dessen Nase in der Kälte lief. Er hatte bereits davor resigniert, und ein kleiner, zäher Tropfen hing ihm an der Nasenspitze. Ich hatte plötzlich das Bedürfnis, ihm einen Kanten Brot in die Hand zu drücken, damit er das Pferd füttern konnte: Er war es, der meinen Gaul gestreichelt hatte. Ich nickte ihm zu und trat durch die Tür in das Rathaus.
    Hanns Altdorfer studierte im Schein einer Kerze seinen Plan.
    »Ich wollte noch einmal bei dir vorbeikommen, bevor ich nach Hause reite«, sagte ich.
    Er hatte seinen Mantel angezogen und vorne zugeknöpft; auf seinem Kopf saß ein Barett. Er sah auf und lächelte.
    »Gibt es etwas Neues?«
    »Nichts Besonderes. Ich habe einen Mann gedungen, um das alte Haus weiter zu überwachen. Bei dir?«
    »Der Zimmermann hat versprochen, mit den Arbeiten rechtzeitig fertig zu sein. Außerdem hat Trennbeck sich wieder mit dem alten von Asch gestritten. Und ich erlebte den Auftritt eines Propheten.«
    »Eines was?«
    »Eines Verrückten«, sagte er. »Er ist bekannt in der Stadt; sie nennen ihn den Heiligen Rochus.« Altdorfer kurbelte mit der Hand vor seiner Stirn.
    Ich schnaubte belustigt.
    »Woher hat er diesen Namen?«
    »Er ist ein alter Mann, der sich von Abfällen ernährt und auf der Straße oder in den Auwäldern um die Stadt herum lebt. Bevor er den Verstand verlor, war er Medicus; nicht einmal ein schlechter, habe ich mir sagen lassen. Er gehörte zum Troß der Leibärzte von Herzog Heinrich, dem Vater von Herzog Ludwig. Während der Pest vor fünfundzwanzig Jahren hat er nicht nur einen Großteil seiner Familie verloren, sondern auch noch seinen hochwohlgeborenen Patienten Heinrich. Er konnte nicht verschmerzen, daß seine Künste völlig belanglos waren gegen den Schwarzen Tod. Seitdem ist er von Jahr zu Jahr verrückter geworden.«
    »Und was hat er dir erzählt?«
    »Er kam hier hereingeplatzt und erklärte mir, daß die Hochzeit zum Scheitern verurteilt sei. Du kannst dir vorstellen, wie sehr ich erschrak, das zu hören; bis mir klar wurde, worauf er hinauswollte. Er sieht die Wiederkehr der Pest voraus. Das tut er jedes Jahr.«
    »Wie ist er denn hier hereingekommen?«
    »Er kommt überall hinein. Im Grunde ist er harmlos, aber wenn man ihn aufzuhalten versucht, zieht man seinen heiligen Zorn auf sich, und es kann passieren, daß er einem den halben Tag auf Schritt und Tritt nachläuft und wüst beschimpft. In dieser Beziehung ist er hartnäckig; deshalb gewährt man ihm für gewöhnlich dort Eintritt, wo er hin will. Er plaudert ein bißchen, dann geht er friedlich wieder. Es ist die bessere Lösung, anstatt ständig mit ihm zu streiten.«
    Ich lächelte, und er schüttelte mit komischer Verzweiflung den Kopf.
    »Und – kommt die Pest nun?« fragte ich ihn.
    Er zuckte mit den Schultern.
    »So wie jedes Jahr«, sagte er resigniert. Er rückte seinen Mantel zurecht.
    »Was sitzt du in dieser Aufmachung herum? Gehst du noch aus?«
    »Ich wollte in die Abendmesse gehen«, erwiderte er. »Ich bin den ganzen Sonntag nicht zur Kirche gekommen und wollte es heute nachholen. Begleitest du mich?«
    »Ich hatte vor, auf dem schnellsten Weg nach Hause zu reiten. Ich will nicht wieder bei völliger Dunkelheit

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