Der Tuchhändler (German Edition)
meine eigenen Zähne herauf spürte, und wenn ich überhaupt einen Wunsch hatte in diesem Moment, dann den, daß ich so hart zustoßen möge, daß ihm seine Hoden zerplatzten. Wenn ich Luft gehabt hätte, hätte ich gekreischt.
Seine erste Reaktion war, meinen Hals noch fester zu umklammern. Der Druck schoß mir bis in die Augenwinkel und ließ meine Augen schmerzhaft hervortreten. Dann erschlaffte seine Hand, und er gab seinen ersten Laut von sich: ein dumpfes Grollen, das mehr aus seinem Bauch als aus seiner Kehle zu stammen schien. Er fiel steif zur Seite, rollte sich zusammen und stieß das Grollen erneut aus, ein langanhaltendes, finsteres, schmerzerfülltes Geräusch, das mit einem Seufzen endete. Dann begann er, stoßweise zu keuchen und zu winseln und sich neben mir im Schmutz zu krümmen. Er hatte jedes Interesse an mir verloren.
Ich blieb auf dem Rücken liegen und starrte blind in die Finsternis, bis mir klarwurde, daß die nächste logische Reaktion meine Flucht sein mußte. Ich raffte mich auf, bis ich auf allen vieren kniete, den klopfenden Schmerz in meiner Seite und in der linken Gesichtshälfte ein Gefühl, als wäre alles Fleisch dort geschwollen und aufgeplatzt. Meine Oberschenkel hatten ihre Kraft verloren; als ich versuchte, noch weiter hochzukommen, sackte ich wieder zurück. Ich dachte: Um Gottes willen, lauf davon, und meine Beine strampelten erneut im Dreck, und ich kam schwankend in die Höhe und stieß gegen eine Mauer, die mir eine unerwartete Stütze gewährte.
Dann geschahen mehrere Dinge gleichzeitig.
Das Licht von Fackeln und das Geräusch rennender Füße näherte sich aus der Altstadt, und ich hörte über dem Klingen in meinen Ohren heisere Rufe. Zugleich fiel mir Hanns Altdorf er ein, und diesmal schoß die Panik beinahe noch schärfer in mich als vorhin, während ich mich des Hagels aus Faustschlägen erwehrt hatte. Ich sah ihn keine Mannslänge von mir entfernt. Sie hatten es nicht vermocht, ihn zu Boden zu stoßen – vielleicht hatte seine schlaksige Gestalt den Aufprall besser gedämpft als mein eigener schwerer Körper. Er hatte sein Barett verloren und versuchte, die beiden Männer, die auf ihn einschlugen, mit ungezielten Fußtritten abzuwehren. Er sah nicht auf, und auch er gab außer einem scharfen Keuchen keinen Ton von sich; er sprang vor und zurück, einer der Angreifer fiel plötzlich nach vorne, ob von der Unebenheit des Bodens oder von einem Tritt Altdorfers war nicht auszumachen, und der andere stolperte über seinen Genossen und stürzte dem Stadtkämmerer in die Arme. Ich stieß mich von der Wand ab, um ihm beizustehen; die Fackeln bogen um die Ecke, ich sah das Blinken von Lanzen und Schwertklingen und hörte wilde Rufe. Ich blieb wie angewurzelt stehen. Mein erster Gedanke war: Sie sind bewaffnet. Wir sind erledigt. Meine Beine wollten nachgeben.
Die beiden Männer, mit denen Hanns Altdorfer kämpfte, warfen sich herum. Der zu Boden Gefallene stolperte wild in die Höhe und versuchte zu fliehen, aber aus der Gruppe der Neuankömmlinge setzte ihm einer nach und verfolgte ihn laut fluchend. Der andere Mann zerrte an Altdorfers Armen und versuchte sich loszureißen. Ich sah, wie der Stadtkämmerer ihn festzuhalten versuchte. Ich hörte mich erschrocken rufen: »Laß ihn laufen!«
Der Mann kämpfte eine Hand frei, schlug nach Altdorfers Gesicht, aber dieser bog den Kopf weit genug nach hinten, um ihm auszuweichen. Die Männer mit den Fackeln sprangen auf die Kämpfenden zu, um sie
– niederzuhauen
auseinanderzuzerren, und der Festgehaltene hob die Faust erneut, im Licht der Fackeln blitzte die Klinge eines Messers auf, das Aufblinken gleichzeitig mit einem vielstimmigen Aufschrei des Entsetzens, Faust und Messer fuhren herab, und Altdorfer taumelte zurück und stürzte schwer zu Boden.
Ich schrie: »Nein!!«
Der Angreifer fuhr herum, die Hand mit dem Messer vorgestreckt. Zwei, drei Schwerter erhoben sich zugleich, eine Klinge zuckte nach unten, und das Messer fiel auf den Boden, und eine weitere schlug zu, und eine Hand folgte dem Messer nach. Wenn nicht alles laut durcheinandergerufen hätte, wäre vielleicht das entsetzliche Geräusch zu hören gewesen, mit dem mehrere Spieße durch Gewand, Haut, Fleisch und Knochen drangen; so sah ich nur, wie der dritte der Angreifer einen Augenblick an den Spießen hing, als wäre er eine Puppe und die Lanzen nur dazu da, um ihm eine aufrechte Haltung zu verleihen, dann wurden die Spieße ruckartig zurückgerissen,
Weitere Kostenlose Bücher