Der Tuchhändler (German Edition)
noch an diesem Ort. Im Gegenteil – innerhalb der Stadtmauern und zudem in Begleitung des Stadtkämmerers fühlte ich mich trügerisch sicher.
Wir machten es ihnen leicht, uns zu überfallen: Die Messe hatte bereits begonnen, die Straßen waren leer, und wir nahmen den Weg zwischen den finsteren Lagerhäusern. Der Boden in der Gasse war von den schweren Lastkarren, die von und zum Kloster und den Stadeln fuhren, zerwühlt und tief gefurcht, und in der Dunkelheit mochte ihn kaum jemand gehen; üblicherweise nahm man den Umweg über das Franziskanerkloster in Kauf. Sie hatten die finsterste Stelle in der Gasse gefunden, sich dort in den dunklen Tordurchfahrten der Lagerhäuser versteckt und besaßen genug Geduld abzuwarten, bis wir uns in ihrer unmittelbaren Nähe befanden, durch die Krümmung der Gassenführung sowohl den Blicken von der Neustadt als auch denen vom Kloster her entzogen. Dann schlugen sie rasch und geplant zu.
Ich hörte die hastigen Schritte hinter mir, und ich spürte die körperliche Annäherung eines Menschen mit einer plötzlichen Dringlichkeit, die mir einen Schauer den Rücken hinunter sandte. Der Aufprall traf mich, als ich mich schon halb herumgedreht hatte: Der Mann rannte mit voller Wucht in mich hinein. Ich spürte keinen Schmerz, eher einen Schock, als habe jemand eine Tür direkt vor meinem Gesicht zugeschlagen. Ich verlor den Boden unter den Füßen, hatte das unwirkliche Gefühl zu fliegen, noch während der Anblick des auf mich zustürmenden Mannes wie in meine Augen eingebrannt war, und stürzte zu Boden.
Die Wucht des Zusammenstoßes ließ meinen Angreifer taumeln. Er stolperte in meine Richtung, brachte die Füße übereinander, dann fing er sich und nutzte den eigenen Vorwärtsschwung, um sich auf mich zu werfen. Ich lag ohne Regung am Boden, atemlos durch den wuchtigen Sturz, und erst, als ich sein Gewicht plötzlich auf meinem Körper spürte und seinen Versuch, mit dem Bein meine Knie auf der Erde festzunageln, erwachte ich aus der Überraschung. Die Dinge verloren ihre seltsame Trägheit. Auf einmal war mir klar, daß ich unsere unbekannten Feinde bei weitem unterschätzt hatte.
Er richtete sich halb auf und holte mit einer Faust weit aus. Meine Hände hoben sich vor mein Gesicht, aber darauf hatte er gewartet: Er schlug mich unterhalb der Rippen in die Seite, zweimal, dreimal hintereinander, so schnell es ging. Die Stelle wurde mit dem ersten Schlag gefühllos, beim zweiten begann sie zu glühen, und der dritte Schlag war, als hätte jemand mit aller Kraft in eine offene Wunde geschlagen. Ich keuchte und versuchte, einen weiteren Treffer dort unten abzuwehren, worauf er mir mit derselben Leichtigkeit zwei Schläge ins Gesicht versetzte, die meine linke Gesichtshälfte in eine pochende Zone des Schmerzes verwandelten. Ich spürte, wie mir das Wasser in die Augen trat. Zuerst war ich zu erschrocken gewesen, um Angst zu fühlen; jetzt richtete sich mein Denken schlagartig nur noch darauf aus, weitere Faustschläge abzuwehren. Ich fürchtete nicht um mein Leben. Ich hatte keine derart abstrakten Gedanken. Ich war eine Ansammlung bloßliegender Nervenenden, die an zwei Stellen vor Schmerz bebten, und ich hatte das einzige Ziel, jeglichen weiteren Schmerz von diesen Stellen abzuhalten. Er hob die Faust nochmals, und auf irgendeine Weise gelang es mir, einen Arm nach oben zu bringen und den herabzuckenden Schlag von meinem Gesicht abzuwehren: Er traf die Seite meines Unterarms und schrammte daran entlang, und der Schmerz schoß mir bis in die Fingerkuppen.
Er rief nicht und schrie nicht. Er keuchte nur laut vor Aufregung und Konzentration. Mit einer raschen Bewegung drückte er meinen erhobenen Arm zur Seite. Sein Knie rutschte über mein Schienbein, als er sich besser abstützte. Ich schielte voller Panik auf seine rechte Faust und fuchtelte mit beiden Händen vor meinem Gesicht hin und her. Sein Knie rutschte noch weiter ab, bis er breitbeinig über mir kniete. Plötzlich griff er mit der linken Hand nach meinem Hals und drückte mit erstaunlicher Kraft zu, preßte mir den Atem so vollständig ab, daß ich nicht einmal mehr ein Keuchen zustande brachte. Ich konnte sein Gesicht in der Dunkelheit nicht sehen, aber ich wußte, daß es blaß sein und der Mund weit offenstehen und die Augen zusammengekniffene Schlitze sein würden, in denen die Mordlust funkelte. Ich stieß ihn mit meinem freigewordenen Knie in den Unterleib, zwischen die Beine, und es war ein Ruck, den ich bis in
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