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Der Tuchhändler (German Edition)

Der Tuchhändler (German Edition)

Titel: Der Tuchhändler (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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gegen ihn gezogen hatte. Die Wappner packten ihn an den Beinen und schleiften ihn zur Hausmauer, neben die anderen, die sich bemühten, den Toten nicht anzublicken. Als sie ihn davonzerrten, wanderte auch der Fackelschein seiner Träger mit ihm, und die Schatten bemächtigten sich der Stelle, an der er zusammengebrochen war. Bevor das Licht den Platz endgültig verließ, konnte man die dunkelglänzenden Blutlachen sehen, die sich in den Furchen gesammelt hatten, und ein unsägliches, abgetrenntes totes Ding, das wie ein Häufchen Dreck in einer eigenen Blutlache lag. Ich sah weg, als einer der Wappner sich bückte und die Hand mit spitzen Fingern aufhob; ich richtete den Blick auf den Toten, der jetzt ausgestreckt mit dem Gesicht nach oben neben der Hausmauer lag, das ganze Vorderteil seines Wamses zerrissen und schwarz vor Blut. Der Stadtknecht trat hinzu und legte ihm die abgehackte Hand auf die Brust. Dann bückte er sich, fuhr dem Toten über das Gesicht und schloß die weitaufgerissenen Augen. Ich war froh, als die Männer von der Leiche zurücktraten und auch das Fackellicht mitnahmen, so daß nur noch ein dunkler Körper im Schatten an der Hausmauer zu erkennen war. Ich sah zu Hanns Altdorfer. Er schluckte trocken, und seine Hände zitterten. Als er sich zu mir umdrehte, stand sein Mund offen, und sein Gesicht war verzerrt. Die Wirkung des Schocks klang offensichtlich ab.
    Altdorfer machte eine Geste zu dem Anführer der Wappner. »Erklärt es ihm«, sagte er rauh. »Ich glaube, mir wird übel.«
    Er trat einige Schritte beiseite und setzte sich dann hart auf den Boden, als hätten seine Beine plötzlich nachgegeben. Er blieb so sitzen, mit angezogenen Knien, zwischen denen seine Hände baumelten, und gesenktem Kopf. Der Führer der Stadtknechte blickte ihn besorgt an.
    »Er braucht etwas zu trinken«, sagte er und nestelte einen Beutel vom Gürtel, dem er eine krumme Steingutflasche entnahm. Er entkorkte sie, zögerte einen Moment, dann hielt er sie mir hin. Ich packte sie und sog kräftig an ihrem Hals; der Schnaps brannte mit dem Geschmack fauler Weintrauben meine Kehle hinunter und schmerzte in meinem wunden Hals. Die Tränen stiegen mir in die Augen, aber mein Kopf wurde kurzzeitig klar. Der Wappner winkte einem seiner Männer und übergab ihm die Flasche; ich sah, wie dieser sich zu Altdorfer bückte und ihm die Flasche vor das Gesicht hielt, aber der Stadtkämmerer schüttelte den Kopf.
    Ich fragte: »Was hat der Kanzler mit Eurem Auftauchen zu tun?« Der Anführer der Wappner zuckte mit den Schultern.
    »Er hat uns beauftragt, auf den Herrn Notarius achtzugeben.«
    »Wußte der Stadtkämmerer denn davon?« fragte ich fassungslos.
    »Nein. Ich habe es ihm eben erklärt. Um ihn nicht nervös zu machen, sollten wir soweit wie möglich darauf schauen, daß er uns nicht bemerkt. Das ist heute natürlich hinfällig geworden.«
    »Wozu denn das alles?«
    »Ich weiß nicht. Ich nehme an, daß der Herr Kanz1er großen Wert auf die Gesundheit des Herrn Notarius legt.«
    Natürlich; es war vollkommen klar. Hanns Altdorfer trug zusammen mit dem Kanzler die Verantwortung für die Hochzeitsvorbereitungen. Ich fragte mich, ob der Kanzler erst nach dem Mord an der polnischen Gräfin daran gedacht hatte, Altdorfer heimlich bewachen zu lassen; aber im Grunde genommen war der Zeitpunkt gleichgültig. Seine Umsicht hatte uns heute vermutlich das Leben gerettet. Die Ironie an der Geschichte war, daß der Überfall mit Sicherheit nicht dem Stadtkämmerer, sondern mir gegolten hatte. Ich schauderte. Hätte ich meinen Freund nicht zur Kirche begleitet, wäre ich aller Wahrscheinlichkeit nach jetzt bereits ein toter Mann. Es ist nicht leicht, sich mit dem Gedanken abzufinden, daß man gerade dem Tod entronnen ist; noch weniger leicht ist es, wenn man erfährt, daß man diesen Umstand nur einem Irrtum verdankt. Ich schloß die Augen und atmete tief ein und aus. Am liebsten hätte ich mich neben Altdorfer auf den Boden gesetzt.
    »Wie seid Ihr so schnell hierher gekommen?« fragte ich nach einer Weile.
    »Wir haben das Rathaus beobachtet«, erwiderte er. »Im Normalfall sind immer einer oder zwei von uns dem Stadtkämmerer unauffällig gefolgt, wenn er sich irgendwohin begab. Das war auch heute der Fall. Wir waren anfangs beruhigt, weil wir Euch in seiner Begleitung sahen. Dann stellten wir fest, daß Euch eine Gruppe von sechs Männern in einem gewissen Abstand folgte. Ich sandte zwei Männer dieser Gruppe hinterher. Sie kamen

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