Der Tuchhändler (German Edition)
und er taumelte dem Ruck hinterher und fiel den Männern mit den Fackeln lautlos vor die Füße.
Es war, als wäre er auf eine geheimnisvolle Weise mit mir verbunden gewesen. Ich sah ihn stürzen, und dann sah ich nichts mehr. Schwach spürte ich, daß ich ebenfalls zusammensackte, und ich hörte noch, wie einer der Neuankömmlinge rief: »Schnell, helft ihm.«
Dann versagte auch mein Gehör und mit ihm mein Gleichgewichtsgefühl, und ich hatte keinen Körper mehr und schwebte in einem schmerzfreien, erinnerungsfreien Raum.
Mein erster, bewußter Eindruck danach war der mehrerer Gesichter unter matt blinkenden Helmen, die mich angespannt musterten, und ein Tätscheln auf meiner verletzten Wange, das zuerst lästig war und dann, als ich vollkommen erwachte, einen scharfen Schmerz in mein Gehirn sandte. Ich hob einen Arm und schob die tätschelnde Hand schwach zur Seite. Die linke Hälfte meines Unterleibs begann zu schmerzen; dann wurde mir von der Bewegung übel, und ich würgte. Das Innere meines Halses brannte wie Feuer. Mit einem Schlag wußte ich wieder, wo ich mich befand und was geschehen war.
»Wie geht es Euch, Herr?«
Ich lallte: »Wo ist der Stadtkämmerer?«
Jemand schob die um mich stehenden Männer beiseite und drängte sich zu mir durch: Es war Hanns Altdorfer.
»Ich bin in Ordnung«, sagte er ruhig.
»Hanns«, krächzte ich. In diesem Moment hätte ich weinen mögen. »Ich dachte, er hätte dich umgebracht.«
»Er hat mich nur geritzt«, sagte er. »Erinnerst du dich, wie kalt es im Rathaus war wegen der Treppenöffnung im Tanzsaal? Ich hatte so viele Jacken und Wämser übereinander an und darüber noch den Mantel, daß der Stoß fast vollständig abgefangen wurde.«
Er lächelte, aber er war unnatürlich blaß. Im Fackelschein glänzte ein feines Netz aus Schweißtropfen auf seiner Stirn, und seine Augen waren weit.
»Ohne das«, sagte er und hob einen Fetzen seines Mantels hoch, »hätte er mich abgestochen.«
Ich schloß die Augen und ließ mich zurücksinken. Langsam verging das Gefühl der Übelkeit; ich atmete tief ein und roch den beißend harzigen Geruch der Fackeln. Die Kälte des Erdbodens drang durch meine Kleidung, und das Liegen wurde mir unangenehm. Ich öffnete die Augen wieder und richtete mich auf. Als ich saß, begann meine linke Gesichtshälfte zu pochen. Ich versuchte, auf die Beine zu kommen, und ein paar Hände griffen zu und zogen mich in die Höhe. Ich schwankte, aber ich blieb stehen. Durch das Aufstehen hatte sich die Wunde auf meiner Wange wieder geöffnet, ein scharfer Stich inmitten des betäubenden Pochens, und ich spürte, wie mir ein dünner Blutfaden die Backe hinunterlief. Ich griff nach oben und wischte ihn weg, und die Bewegung brachte mich erneut aus dem Gleichgewicht. Einer der Männer griff zu und stützte mich. Erst jetzt fiel mir auf, daß er und seine Kumpane einheitlich gestreifte Wämser trugen.
»Wer sind diese Männer?« fragte ich Altdorf er.
»Wappner«, sagte der Stadtkämmerer. »Stadtknechte.«
»Was für ein glücklicher Zufall, daß sie in der Nähe waren.«
»Es war kein Zufall«, sagte Altdorfer.
Einer der Männer stellte sich neben Altdorfer und nahm seinen Helm ab. Er schien der Anführer der Truppe zu sein. Er lächelte grimmig.
»Kein Zufall?« echote ich.
Der Wappner ergriff das Wort.
»Nein«, sagte er. »Wir handeln im Auftrag des Kanzlers.«
»Doktor Mair?« Ich wandte mich an Hanns Altdorfer. »Was hat das zu bedeuten?«
Der Stadtkämmerer hatte sich abgewandt und beobachtete, was neben der Mauer des Lagerhauses vor sich ging. Die Wappner hatten den Mann, der mich angegriffen hatte, unsanft auf die Beine gestellt. Er krümmte sich noch immer, aber er schien sich so weit erholt zu haben, daß er wieder atmen konnte. Sie lehnten ihn gegen die Mauer und leuchteten ihm mit einer Fackel ins Gesicht; selbst von hier aus konnte ich sehen, daß er leichenblaß war und ihm Blut aus dem Mund lief – er hatte sich auf die Zunge gebissen. Bei jedem Ausatmen war ein kurzes Ächzen zu hören, und er stützte sich mit beiden Händen auf die Oberschenkel. Dabei starrte er verbissen nach unten und ließ das Blut auf den Boden tropfen. Derjenige der Angreifer, der zu fliehen versucht hatte, wurde ebenfalls unsanft herbeigezerrt und gegen die Wand gedrückt. Er hatte eine Schürfwunde im Gesicht und sah betäubt und verängstigt aus.
Altdorfer hatte seine Aufmerksamkeit auf den dritten der Männer gerichtet, jenen, der den Dolch
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