Der Turm der Könige
mit Bronzebeschlägen verzierten
Ordensregeln der Ritter vom Heiligen Johannes von Jerusalem
. Sie waren an die Holzpulte gekettet, damit sie nicht verlorengehen konnten. Bruder Dámaso bat Monsieur Verdoux, die Lampe zu halten, und nahm einen Schlüsselbund aus der Tasche. Er wählte einen der Schlüssel aus und öffnete eine Vitrine, in der mehrere riesige Pergamentbände mit den Privilegien aufbewahrt wurden. Vorsichtig schob er sie beiseite und zog ein weinrotes Samtsäckchen dahinter hervor, das oben zugebunden war.
»Ich habe ihn vorübergehend hier versteckt, nachdem du ihn damals in der Nacht gebracht hast«, sagte er, löste das Band und nahm den Elefanten aus Elfenbein heraus. »Ich war so verwirrt … Ich wollte warten, bis ich Ersatz für dich gefunden hätte, bevor ich ihn an einem sichereren Ort verstecke. Einem Ort, den nur der Auserwählte und ich kennen.« Er sah Abel zufrieden an. »Jetzt können wir ihn in Sicherheit bringen. Los, gehen wir.«
Bruder Dámaso wandte sich zu einer Tür, die sich im hinteren Teil der Bibliothek verbarg. Sie lag zwischen einem Regal mit in feinstes Leder gebundenen Kirchenakten und einer Prachtausgabe der Evangelien mit einem Intarsiendeckel aus Elfenbein, der mit Gold und Edelsteinen besetzt war. Abel und Monsieur Verdoux folgten ihm, doch plötzlich drehte der Mönch sich um.
»Entschuldigen Sie, guter Freund«, sagte er zu dem Franzosen und nahm ihm die Lampe ab. »Wissen Sie, es ist nicht persönlich gemeint, aber ich glaube, es ist wichtig für unsere Sicherheit, dass Abel und ich das, was wir vorhaben, allein tun. Je weniger Leute wissen, wo der Elefant versteckt ist, desto sicherer ist unsere Mission. Sie haben doch gewiss Verständnis dafür, nicht wahr?«
Monsieur Verdoux war sprachlos. Für einen Moment glaubte Abel, in seinen himmelblauen Augen einen Hauch von Unmut zu erkennen, und fühlte sich schuldig. Sein Lehrer gehörte seit vielen Jahren dem Orden an; er hatte ihm sein Leben, sein Können und seine Kräfte gewidmet, und plötzlich kam da ein unbedarfter junger Bursche daher und wurde zum Träger eines der größten Geheimnisse des Ordens. Der Junge sah verlegen zu Boden.
»Natürlich habe ich Verständnis«, sagte Monsieur Verdoux plötzlich in die Stille hinein. »Ich bleibe hier und lese. Hm, mal sehen …« Er warf einen Blick in das Regal, vor dem er stand, und zog das erstbeste Buch heraus. »
Buch der Könige
«, las er und grinste. »Das ist genau das Richtige für mich.«
Und er nahm entspannt in einem Sessel Platz, ohne weiter auf Bruder Dámaso und Abel zu achten.
»Geht nur, geht«, sagte er, ohne sie anzusehen, und wedelte zum Abschied mit der Hand.
Die beiden traten durch die Tür und standen in einem höhlenartigen Tunnel, der nach Moder roch, und nur von der Öllampe erhellt wurde, die Bruder Dámaso in der rechten Hand trug. Abel hielt sich ganz dicht bei ihm, weil er Angst hatte, den schützenden Lichtkreis zu verlassen. Plötzlich spielte ihm sein Verstand einen bösen Streich: Zeit und Raum verschoben sich, und er konnte fühlen, wie sein Vater vor vielen Jahren durch dieselben Räume gekommen war, gefangen in diesem Geheimnis, das sich ihm allmählich zu erschließen begann. Traurig dachte er, dass es ihm nicht vergönnt gewesen war, diese außergewöhnliche Geschichte aus dem Mund seines Vaters zu erfahren.
»Mein Vater war also ein Ritter des Malteserordens«, sagte er dann und schluckte seine Trauer hinunter.
»Und noch viel mehr. León de Montenegro wusste doppelt so viel wie jeder andere Ritter unseres Ordens, weil er Gelegenheit hatte, beide Seiten der Medaille zu betrachten. Du musst wissen, als junger Bursche wurde er von den Janitscharen geraubt. Er wuchs bei ihnen auf, lernte ihre Sprache, studierte ihre Gebräuche, ihren Glauben, ihre Kampftechniken, ihr Wissen … Das Leben gab ihm die Möglichkeit, das Beste aus beiden Kulturen herauszupicken: der christlichen und der islamischen. Er war ein Ritter in zwei Welten. Sein Tod war ein nicht wiedergutzumachender Verlust für uns.«
Nach zahlreichen Abzweigungen blieb Bruder Dámaso stehen und betrachtete eingehend die Wand. Er klopfte mit den Knöcheln gegen die feuchten Ziegel, bis er einen fand, der hohl klang. Er reichte Abel die Lampe und begann, an dem Stein zu rütteln, der sich allmählich lockerte, bis er sich schließlich ganz löste. Zurück blieb ein schmales, tiefes Loch in der Mauer, in das ein ganzer Arm hineinpasste. Der Mönch nahm das
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