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Der Turm der Könige

Der Turm der Könige

Titel: Der Turm der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nerea Riesco
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auszumachen.
    Rosario sah wunderbar aus mit ihrer weißen Spitzenmantille und dem elfenbeinfarbenen Seidenfächer in der rechten Hand. Abel, der sich bis dahin nicht sonderlich mit der vielfältigen Fächersprache befasst hatte, die es Verliebten und Liebenden ermöglichte, sich unbemerkt zu unterhalten, kramte angestrengt in seinem Gedächtnis. Doch durch die Entfernung und den Umstand, dass er auf dem rechten Auge nicht gut sah, gestaltete sich die Sache schwierig. Alles, was er klar erkennen konnte, war, dass Rosario den Fächer mit einer raschen Handbewegung auf- und zuklappte, dass die Spitzenbordüren flogen. Mühsam kniff er die Augen zusammen.
     
    Fächer geschlossen, umgekehrt in der rechten Hand gehalten: Ich hoffe auf einen Liebsten.
     
    »Sie hofft auf einen Liebsten«, flüsterte er aufgeregt.
    Costillares erwartete den Stier auf Knien, und die Menge schrie begeistert auf. Während der Eröffnung vollführte er elegante Bewegungen mit dem Tuch, und der Picador reizte den Stier erbarmungslos mit einer ganzen Reihe von Lanzenstichen in den Nacken. Den Experten zufolge wurden so der Mut des Tieres und seine Kampfeslust angestachelt, doch Abel dachte, dass dieses ganze Gestochere nur dazu diente, ihn müde zu machen und dem Matador die Arbeit zu erleichtern.
     
    Mit dem Fächer über die Stirn streichen, als wollte man das Haar glätten: Ich erinnere mich an dich.
     
    »Sie erinnert sich an mich.«
    Das Publikum feierte Costillares, der mit hochgerecktem Kinn durch die Arena stolzierte, ein triumphierendes Lächeln auf den Lippen, und den Stier mit dem Blitzen seines goldenen Jäckchens verwirrte. Rote Tücher, tänzelnde Drehungen, Olé-Rufe, bunt bebänderte Spieße, noch mehr Lanzenstiche, Blut und Schmerzensgebrüll, Blut und noch mehr Blut.
     
    Schnelles Zufächeln: Ich liebe dich.
     
    »Sie liebt mich!«, seufzte Abel.
    Und genau in diesem Moment ereignete sich die legendäre Szene, die, leicht abgewandelt, Eingang in Volkslieder und Bänkelgesänge finden sollte. Anscheinend lehnte sich Rosario über die Bande und fächelte sich so schnell zu, wie es ihre rechte Hand erlaubte, als Costillares den Stier seinen Helfern überließ und mit hochgezogener Augenbraue und gestrafftem Rücken auf sie zuging, überzeugt, dass keine Frau, die im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte war, der Aufmerksamkeit eines Mannes widerstehen konnte, der sich mit einem Stier maß. Mit einer eleganten Handbewegung riss er dem Mädchen den Fächer aus den Händen, lächelte Rosario zu, die ihn fassungslos anstarrte, verlangte nach seinem Degen und ging unter dem Gemurmel der Zuschauer, die sich fragten, was der berühmte Torero vorhatte, auf den Stier zu.
    Die Waffe in der linken Hand, klappte er mit der Rechten den Fächer auf und winkte das Tier zu sich heran, wobei er den Fächer anstelle des roten Tuches benutzte. Die Leute waren außer sich vor Begeisterung. Unter lauten Olé-Rufen applaudierten sie im Takt des Paso Doble. Mit stolzgeschwellter Brust versetzte Costillares dem Stier mit sicherer Hand den Todesstoß. Das Tier brach unter dem Jubel des Publikums, das nun endgültig tobte, tot im Sand zusammen. Nelken flogen in die Arena, lebende Hühner, Brotstückchen, Wurstscheiben … Die Zuschauer brüllten: »Olé, Torero! Was für ein Kampf, mein Gott, was für ein Kampf! Er hat den Stier mit einem Fächer gereizt!« Sie hoben ihn auf die Schultern und trugen ihn durch die Arena, nachdem er beide Ohren und den Schwanz des Tieres als Auszeichnung erhalten hatte.
    Als die Ehrenrunde vorüber war, machte sich Costillares elegant von seinen Bewunderern los und trat erneut an Rosarios Platz. Er bat seinen Gehilfen, ihm etwas zu schreiben zu bringen, und schrieb folgende Worte auf den Fächer, wobei er die Bande als Unterlage benutzte:
     
    Ich unterschreibe keinen Fächer ohne Geschichte.
JOAQUÍN RODRÍGUEZ , »Costillares«
     
    Dann lächelte er ihr stolz zu und reichte ihr mit der linken Hand, in der er die soeben abgetrennten Ohren und den Schwanz hielt, den blutbeschmierten Fächer. Als Rosario die Trophäen neben ihrem Seidenfächer sah, als handelte es sich um einen blutigen Blumenstrauß, wurde ihr übel. Alles begann, sich vor ihren Augen zu drehen, und sie wurde ohnmächtig. Die Leute waren sicher, dass der Augenblick sie überwältigt hatte.
    Abel sah von ferne, wie sie in sich zusammensank. Um Entschuldigung bittend, drängte er sich durch die Menge, bis er schließlich bei ihr war.
    »Gestatten, Abel de

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