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Der Turm der Könige

Der Turm der Könige

Titel: Der Turm der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nerea Riesco
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ersten Mal ihr Antlitz, das ohnegleichen sei, in der blühenden Üppigkeit des gräflichen Gartens gesehen habe. Er pries ihre hehre Verständigkeit, ihr holdseliges Wesen und ihre edle Anmutung, in welche all sein Wollen und Streben verwoben seien.
    Abel steckte die Liebesbriefe in die Kistchen mit den Mandeln und wartete ab. Er beobachtete das Mädchen, um aus ihren Gesten zu lesen, ob seine Beharrlichkeit Früchte trug. Er forschte in ihren Augen nach einem verliebten Funkeln, einem sehnsüchtigen Glitzern, dem Ausdruck einer verzauberten Seele. Doch Rosarios Verhalten brachte ihm keine Klarheit. Ihr Blinzeln konnte genauso gut verführerisch sein wie Ausdruck von Kurzsichtigkeit. Er war nicht sicher, ob dieses leise Lächeln, das er manchmal zu erkennen glaubte, dieses zarte Beben der Lippe, das den Übrigen unbemerkt blieb, Interesse für ihn bedeutete oder ob ihr einfach ein lustiger Gedanke in den Sinn kam.
    »Mein lieber Abel«, legte ihm Bruder Dámaso mit nicht enden wollender Geduld dar. »Nicht, dass ich die Intelligenz des Mädchens in Zweifel zöge, aber glaubst du wirklich, dass sie versteht, was du schreibst, wenn du Wörter benutzt, die selbst ein Gelehrter wie Antonio Nebrija nachschlagen müsste? Wie soll sie wissen, dass du derjenige bist, der sie mit gebrannten Mandeln und Baisers überschüttet, wenn du immer zu Boden schaust, wenn sie in der Nähe ist, und die Briefe, die du ihr schickst, nicht einmal mit deinem Namen unterschreibst?«
    Eines Tages im September saß Abel auf einer Bank auf dem kleinen Platz gegenüber von Rosarios Haus und las, wie jeden Sonntag in letzter Zeit. Nach einer halben Stunde sah er, wie seine Angebetete in Begleitung ihrer Eltern das Haus verließ, und beschloss, ihnen unauffällig zu folgen. Sie gingen in Richtung
Maestranza
, der Stierkampfarena von Sevilla.
    Vor Jahren hatte eine Gruppe von Intellektuellen, die den Stierkampf für barbarisch hielt und es steinzeitlich fand, dass sich die Leute am Leiden und Sterben eines Lebewesens ergötzten, beim König erreicht, dass er den Stierkampf per Dekret untersagte. Doch die Begeisterung der Sevillaner für diese Veranstaltung, die ein blutiges Tieropfer mit ausgelassener Stimmung verband, war schwer zu brechen. Angesichts der erbitterten Proteste der treuesten Anhänger gab der König schließlich nach und erlaubte wieder Stierkämpfe in der
Maestranza
. Als man die Arena in Augenschein nahm, stellte sich heraus, dass sie während des fünfjährigen Verbots so heruntergekommen war, dass die äußere Fassade und ein Drittel der Ränge erneuert werden mussten.
    Mit dem heutigen Kampf wurde die neue Stierkampfsaison eröffnet, und alle wollten dabei sein. Die Vorfreude begann schon in der Nacht zuvor. Nur wenige verbrachten die Nacht zu Hause. Die Menschen strömten fröhlich lärmend in die Straßen rings um die Arena, um sich einen guten Platz beim Eintreiben der Stiere zu sichern. Selbst der Klerus ermunterte die Bevölkerung von der Kanzel herunter dazu, sich am Stierkampf zu erfreuen, statt ins Theater zu gehen.
    »Das kommt nur daher, weil das Theater nicht nur unterhält, sondern auch bildet«, erklärte Monsieur Verdoux. »Beim Stierkampf bemisst sich das Vergnügen daran, wie viel Blut vergossen wird. Aus der Stierkampfarena kommt man genauso dumm heraus, wie man hineingegangen ist. Das kann man vom Theater nicht behaupten.«
    An diesem Nachmittag kämpfte Costillares. Er war zur Zeit der berühmteste sevillanische Torero, der auch den Beinamen »Liebling des Adels« trug, weil die Oberschicht ganz verrückt nach ihm und seinen Paraden war.
    Für einen kurzen Moment standen Abel und Rosario vor dem Eingangsportal dicht nebeneinander. Er wollte sie gerade grüßen, doch da öffnete sich das Tor, und sie wurden von der Masse nach innen gedrängt. Rosarios Eltern nahmen in der ersten Reihe der Tribüne Platz, Abel genau gegenüber, von wo er die gesamte Arena überblicken konnte. Dann marschierte Costillares unter dem Jubel der Menge mit stolzgeschwellter Brust auf dem Platz ein.
    Er trug ein neues Kostüm, das er selbst entworfen hatte und das aus einem goldbestickten Jäckchen, Seidenhose und bunter Schärpe bestand. Abel fand, dass er aussah wie eine wandelnde Schießbudenfigur. Der Stier hätte blind sein müssen, um ein so auffälliges Ziel zu verfehlen. Aber er verfolgte diesen Gedanken nicht weiter, weil er damit beschäftigt war, seine Angebetete zwischen all den Zuschauern und Kissen- und Mandelverkäufern

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