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Der Turm der Könige

Der Turm der Könige

Titel: Der Turm der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nerea Riesco
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Montenegro, zu Ihren Diensten«, stellte er sich förmlich ihren Eltern vor.
    Und mit der gebotenen Eile, die eine solche Situation erforderte, zog er das Fläschchen mit dem Riechsalz hervor, das er auf Empfehlung von Monsieur Verdoux stets in der Jackentasche trug. Er schob die linke Hand unter Rosarios Nacken und hielt ihr das Fläschchen unter die Nase. Augenblicklich schien die Farbe in ihre Wangen zurückzukehren. Als sie ein wenig verwirrt die Augen aufschlug, fiel ihr Blick als Erstes auf Abel.
    »Sind Sie der Unbekannte, der mir den Hof macht?«, fragte sie, als erwachte sie soeben aus einem Traum.
    »Rosario!«, sagte ihr Vater vorwurfsvoll und lächelte Abel entschuldigend an. »Sicher ist sie noch nicht ganz bei Sinnen, die Ärmste!«
    Aber sie sprach weiter. »Finden Sie wirklich, dass ›holdseliges Wesen‹ die beste Wortwahl ist, um eine Frau zu beeindrucken?«
    ***
    DASS ER ROSARIO IN DER STIERKAMPFARENA aus ihrer Ohnmacht errettet hatte, öffnete ihm bei ihr zu Hause alle Türen. Nun setzte Abel alles daran, ihr den Hof zu machen, mit allem, was dazugehörte. Jeden Nachmittag erschien er mit einem Blumenstrauß, um sie zu den literarischen Zirkeln abzuholen. Er schrieb ihr auch Liebesbriefe, die sie mit kritischem Blick las. Sie bemängelte die eine oder andere Formulierung und schlug stattdessen andere vor, denn die Wörter, so erklärte sie ihm, seien nicht nur abstrakte, aus dem Geist geborene Gebilde, sondern bestünden auch aus Bildern und Klängen. Ihre äußere Erscheinung sei ebenso wichtig wie das äußere Erscheinungsbild eines Menschen. Sie erklärte ihm, dass Begriffe wie »zauberhaft«, »Ranküne« oder »berückend« für einen Liebesbrief oder ein romantisches Gedicht wesentlich geeigneter seien als »schön anzuschauen«, »Verschlagenheit« oder »herzig«, auch wenn sie dasselbe bedeuteten.
    »Eines sollten Sie noch wissen«, sagte sie eines Tages. »Ich habe beim Stierkampf keinesfalls versucht, ihnen heimliche Botschaften mit meinem Fächer zu übermitteln. Ehrlich gesagt hatte ich Sie gar nicht bemerkt. Ich habe mir Luft zugefächelt, weil mir von dem ganzen Blut schlecht wurde.«
    Abel war nicht enttäuscht von dem Geständnis, im Gegenteil. Für ihn war der Stierkampf eine echte Chance gewesen, denn er hatte ihm die Gelegenheit gegeben, sich seiner Angebeteten zu nähern. Dennoch dauerte es eine Weile, bis er lernte, mit der Eifersucht zu leben, als er erfuhr, dass der Torero Costillares ihr weiterhin den Hof machte, in der Annahme, dass Rosario nur deshalb in Ohnmacht gefallen sei, weil sie noch nie zuvor einen derart mutigen Stierkämpfer gesehen hatte. Er schickte ihr Nelken und Stierkampfbildchen mit persönlicher Widmung, aber zu Abels Glück war Rosario dadurch nicht zu beeindrucken.
    »Ich bewundere Männer für ihre Fähigkeit, Freude ins Leben zu bringen, nicht für ihre Geschicklichkeit beim Töten«, sagte sie.
    Sie erzählte ihm von ihrem Traum, Schriftstellerin zu werden, und dass sie großes Interesse daran habe, die Druckerei kennenzulernen. Bei ihrem ersten Besuch dort begannen ihre Augen zu leuchten, und ihr war sofort klar, dass dies für sie der schönste Ort auf der Welt war. Begeistert sog sie den Geruch der Druckerschwärze auf. Sie bat Abel, ihr den Ablauf in der Druckerei zu zeigen und Schritt für Schritt zu erklären, welchen Weg ein Manuskript ging, bis es zum Buch wurde. Sie ließ sich kein einziges Detail entgehen, während Abel sich in den Einzelheiten erging, ihr jede einzelne Maschine zeigte, den Setzkasten, das Lager … In diesem Moment begann Rosario, ihn mit dem bewundernden Blick der Verliebten zu sehen.
    Sie verkündeten ihre Verlobung bei einer Feier im Hause des Marquis de Gelo. Es waren über zweihundert Gäste anwesend, darunter auch Costillares, der den Verlobten persönlich gratulierte, wobei er der Braut leidenschaftlich die Hand küsste. Julia tanzte und lachte, als hätte sie seit Jahren nichts anderes getan, und Mamita Lula konnte nicht aufhören zu weinen.
    Die Hochzeit sollte im Frühjahr stattfinden. Den Herbst und Winter verbrachten sie damit, die gegenseitigen Besuche mit den literarischen Zirkeln im Haus des Marquis de Gandul in Einklang zu bringen sowie romantische Spaziergänge zu unternehmen, stets in Begleitung einer Anstandsdame, die Rosarios Mutter engagiert hatte und die zwischen ihnen ging, um Gerede zu vermeiden. Am liebsten flanierten sie durch die »Bella Flor« genannte Pappelallee am Flussufer zwischen dem

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