Der Turm der Könige
geschwiegen hatte, jubelte innerlich.
Vielleicht würde Abel nun, da die Verfassung auf den Weg gebracht war, wieder mehr Zeit für ihre Sache aufbringen. Doch tief in seinem Inneren wusste er schon lange, dass Abel, den er als Junge unterrichtet und in den er all seine Hoffnungen gesetzt hatte, nicht der richtige Kandidat für diese wichtige Schachpartie war. Sich das einzugestehen, deprimierte ihn zunächst, doch dann wurde aus Traurigkeit Wut. Es machte ihn zornig, wenn er daran dachte, wie viel Zeit er darauf verwendet hatte, dem Jungen den nötigen Siegeswillen einzuimpfen, um diese Partie zu gewinnen. Stundenlang rannte er durchs Haus und hieb mit seinem silberbeschlagenen Gehstock auf den Boden ein, während er laut vor sich hin fluchte, mal auf Spanisch, mal auf Französisch, denn er war wirklich wütend.
***
DIE VERFASSUNG ERWIES SICH ALS Glücksbringer für die Spanier. Drei Monate nach ihrer Verkündung begann Napoleon, seine Truppen von der Iberischen Halbinsel abzuziehen. Er brauchte sie für seinen Russlandfeldzug. Die Widerstandskämpfer, zu denen auch die Bande von Ventura Marqués zählte, hatten den Franzosen so zugesetzt, dass es ihnen gelungen war, sie aus Andalusien zu vertreiben.
Als der zukünftige König Ferdinand VII . sah, dass sich sein Volk den Besatzern mit aller Kraft entgegenstellte und ihn mit offenen Armen empfing, fasste er Mut und zwang Bonaparte zu Verhandlungen. Ein Jahr später schlossen sie den Vertrag von Valençay, in dem Napoleon Ferdinand VII . den Thron und sämtliche Besitzungen von vor 1808 zurückgab. Im Gegenzug verpflichtete sich der neue König, den Frieden mit Frankreich zu halten, die Engländer auszuweisen und keine Repressalien gegen die Verbündeten der Franzosen auszuüben.
Als das Volk erfuhr, dass sein König zurückkehren würde, brach es in patriotische Begeisterungsstürme aus. Die Menschen strömten erneut auf die Straßen, wieder voller Stolz auf das Erreichte. Die Männer und Frauen aus den unteren Schichten hatten zum ersten Mal in der Geschichte das Gefühl, wichtig zu sein. Ohne ihren Widerstand, ihre Anstrengung und Treue würde man mittlerweile im ganzen Land mit abgespreiztem kleinen Finger mit der Zange Schnecken verspeisen, statt geräuschvoll Muscheln zu schlürfen. In allen Straßen wurden die Balkone rot-gelb beflaggt, es wurden überschwängliche Hymnen geschrieben und Paraden zu Ehren der Soldaten veranstaltet, die allerdings ohne die Hilfe der Widerstandskämpfer gar nicht in der Lage gewesen wären, ihr Vaterland zu verteidigen.
Ferdinand VII . erwartete bei seiner Rückkehr auf den spanischen Thron ein Vertreter der Regentschaft mit der Verfassung unter dem Arm. Nach Artikel 173 sollte er erst als König anerkannt werden, wenn er auf diesen Text schwor. Doch Ferdinand weigerte sich. Zwei Monate nach seiner Ankunft veröffentlichte Ferdinand VII . ein Dekret, das die traditionelle Monarchie wiederherstellte und die Arbeit der Cortes in Cádiz für null und nichtig erklärte. Er belebte die Inquisition wieder neu, schaffte die Meinungsfreiheit und die Abgeordnetenversammlungen ab, setzte die Zünfte auf ein Neues ein, gab der Kirche den konfiszierten Besitz zurück und ordnete die Schließung der Universitäten an, weil dort das Denken gelehrt wurde, was nicht gut für den König war.
Viele der sogenannten »Franzosenfreunde« endeten in Festungshaft in Ceuta oder Melilla, andere wurden des Landes verwiesen. Unter ihnen waren Priester, Mitglieder des Adels, Journalisten, Juristen und Schriftsteller, mit denen Abel viele Abende im Gespräch im Palais des Marquis de Gandul oder im Patio der Druckerei verbracht hatte. Die wenigen, die sich weigerten, ins Exil zu gehen, waren Tage später tot, und ihre Leichen wurden durch die Straßen geschleift.
Auch Hauptmann Marqués und seinen Anhängern erging es nicht gut. Als ihnen klar wurde, dass Ferdinand VII . den Absolutismus wiederherstellte, rebellierten sie und griffen erneut zu den Waffen, diesmal gegen die königlichen Truppen. Der König erklärte sie zu Staatsfeinden, ohne zu bedenken, dass er dank des mutigen Widerstands dieser Männer die spanische Krone zurückerhalten hatte.
Sie wurden steckbrieflich gesucht, und Guiomar musste lernen, Tag für Tag zu überstehen, ohne zu wissen, ob Ventura noch lebte oder bereits tot war. Sie hatte ihn so lange nicht mehr gesehen, dass sie manchmal glaubte, alles nur geträumt zu haben. Manchmal ging sie zum Cruz de Campo, um sich zu
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