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Der Turm der Könige

Der Turm der Könige

Titel: Der Turm der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nerea Riesco
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Kathedrale und ging hin, um nachzusehen, ob dort Platz für eine weitere Tote war. Als Cristo erfuhr, dass Candela wieder im Haus war, um dem Mädchen zu helfen, erbot er sich, einen Sarg und einen schlichten, aber angemessenen Steinsarkophag zu besorgen. Guiomar ließ sich darauf ein, obwohl sie nicht sicher war, was ihre Mutter gewollt hätte. Ihr wurde klar, dass sie nie mit ihr über den Tod gesprochen hatte.
    Candela hielt während der ganzen Totenmesse Guiomars Hand. Als sie die Kathedrale verließen, war dem Mädchen ganz übel vor Kummer, dem Mangel an frischer Luft, der düsteren Atmosphäre und dem Weihrauchgeruch in der Kirche. Eine Gruppe von Männern und Frauen, die sie nicht kannte, kam auf sie zu, um Guiomar ihr Beileid auszusprechen. Erst jetzt ließ sie Candelas Hand los. Das war der Moment, den Cristo nutzte, um sich der berühmten Künstlerin zu nähern und den Kavalier zu geben, der sie früher, wie er sich erinnerte, zum Lächeln gebracht hatte.
    »Guten Tag, Candela. Die habe ich dir mitgebracht«, sagte er und reichte ihr einen Strauß selbstgepflückter Blumen, die aussahen, als hätte er sie in irgendeinem Garten gestohlen. »Du siehst wundervoll aus. Du hast nichts von deiner Schönheit verloren. Wir hatten damals so viel Spaß miteinander, weißt du noch?«
    Candela sah ihn verblüfft an. Sie erinnerte sich nur schwach an ihn, eine Episode aus ferner Jugend. Nun allerdings empfand sie tiefe Abneigung gegen diesen Mann, der eine Beerdigung dazu nutzte, ihr Komplimente zu machen.
    »Bringen Sie den Strauß lieber zum Grab der Verstorbenen, mein Herr«, antwortete sie, bevor sie ihm den Rücken kehrte und mit dem anmutigen Gang der Zigeunerin, dem der Lauf der Zeit nichts hatte anhaben können, davonging.
    ***
    ABEL DE MONTENEGRO WÜRDE NIE VERGESSEN, was er gerade tat, als man ihm die Nachricht vom Tod seiner Frau überbrachte. Die Cortes – die Ständeversammlung – waren zum ersten Mal in Isla de León zusammengetreten, was seit den frühen Morgenstunden mit einer Prozession und einer Messe gefeiert wurde. Der Bischof von Orense betete dafür, dass die gelehrten Männer, die sich dort versammelt hatten, verantwortungsvoll ihrer historischen Aufgabe nachgingen.
    Abel war glücklich und stolz. Die Verfassung, für die er sich so eingesetzt hatte, schien in greifbare Nähe gerückt zu sein, was endlich Gerechtigkeit und Ruhe für das Volk bedeuten würde. Es war der Schritt in Richtung Fortschritt, den Spanien verdient hatte. Er war sicher, dass es ihnen gelingen würde, in wenigen Monaten zu einer Lösung zu gelangen und ihr normales Leben wiederaufzunehmen. Er freute sich darauf, nach Hause zu fahren und Frau und Tochter die gute Nachricht zu überbringen. Daran dachte er gerade, als jemand auf ihn zutrat und ihm etwas ins Ohr flüsterte.
    Zuerst konnte er es nicht glauben. Es war unmöglich. Rosario, seine Rosario … Nein, das konnte nicht sein, schließlich war sie stark wie ein Fels. Ein Herzproblem, sagte man ihm. Das erschien ihm völlig absurd, doch hatte er keine Zeit mehr, länger darüber nachzudenken, denn ein paar Freunde fassten ihn am Arm und brachten ihn aus dem Saal, in dem gefeiert wurde. Er ließ sich widerstandslos wegführen. Sie setzten ihn in eine Kutsche nach Sevilla und gaben dem Kutscher Anweisung, sich zu beeilen. Trotzdem kam ihm die Fahrt endlos vor. Es wurde Nacht, die Sterne leuchteten über der Landschaft, und einige Momente hatte er das Gefühl, das alles sei nur ein schlimmer Traum. Gleich würde seine Frau ihm die Tür öffnen, und alles wäre gut.
    Kurz bevor sie ihr Ziel erreichten, färbte die Morgendämmerung den Himmel orangerot. Sie hatten nur zweimal angehalten, um die Pferde zu wechseln, schafften es aber trotzdem nicht rechtzeitig zur Beerdigung.
    Als Abel durch die Tür der Druckerei trat, warf sich Guiomar schluchzend in seine Arme.
    »Ich hätte euch niemals allein lassen dürfen. Das werde ich mir nie verzeihen«, sagte er immer wieder.
    Er blickte sich um. Das Haus war wie erstarrt. Weder das Rattern der Maschinen war zu hören noch das Schwatzen der Hausmädchen oder das Singen der Vögel. Alles schien stillzustehen. Ein Gefühl abgrundtiefer Einsamkeit erfüllte sein Herz. Das Einzige, woran er sich festhalten konnte, das Einzige, was ihm in diesem Augenblick wirklich erschien, war Guiomar. Er war so lange weg gewesen, dass sie ihm plötzlich wie eine fremde Frau vorkam. Ihm war nach Weinen zumute, aber er beherrschte sich. Stattdessen

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