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Der Turm der Könige

Der Turm der Könige

Titel: Der Turm der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nerea Riesco
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Gewissensfragen in Ruhe ließ, und verhielt sich anderen gegenüber genauso.
    Die ersten sechs Tage genossen die Verliebten das Glück ihres Wiedersehens in dem Bewusstsein, wie kostbar diese Zeit für sie beide war. Dabei stellte Guiomar fest, wie die Zeit vergangen war. Venturas Brust war breiter geworden, sein Gesicht sonnenverbrannt und seine Hände waren rau von den Zügeln des Pferdes und dem Gebrauch von Messern und Flinten. Sie lag mit einem Mann im Bett. Einem starken, selbstbewussten Mann, der ihr nie ganz gehören würde, weil er immer eine Mission zu erfüllen, einen Schwachen zu verteidigen und einen Tyrannen zu bekämpfen haben würde. So hatte sie ihn kennengelernt, und so würde sie ihn nehmen müssen.
    »Ich habe dich so vermisst«, flüsterte sie ihm eines Nachts ins Ohr. Sie war kurz davor, ihn zu bitten, er möge doch bei ihr bleiben.
    »Du bist mein Zuhause«, flüsterte er. »Meine Zuflucht. Ganz gleich, wie viele Hindernisse sich mir in den Weg stellen, du kannst sicher sein, dass ich immer eine Möglichkeit finden werde, dich zu sehen.«
    Am Morgen des siebten Tages wurde ihr Glück jäh gestört. Eine Abteilung Soldaten erschien auf dem Landgut und hämmerte heftig gegen die Tür. Als Candela öffnete, stießen die Männer sie grob beiseite. Sie hatten einen Durchsuchungsbefehl dabei. Candela begann laut zu fluchen und zu schimpfen, um auf diese Weise Guiomar und Ventura zu warnen. Als die beiden sie hörten, wussten sie sofort, was los war, und zogen sich hastig an. Ihnen blieb kaum Zeit, sich zu verabschieden.
    »Wann sehen wir uns wieder?«, fragte Guiomar verzweifelt.
    »Ich habe es dir doch gesagt. Ich komme immer wieder zu dir zurück. Du bist mein Zuhause.«
    Und Guiomar wusste, dass er die Wahrheit sagte.
    Die Soldaten stellten das ganze Haus auf den Kopf. Traten Türen ein, obwohl sie nicht abgeschlossen waren, zogen Decken und Laken weg, schlitzten Matratzen auf, durchsuchten die Vorratskammer, steckten die Finger in den Honigtopf und bissen ins Frühstücksbrot. Sie durchwühlten Schubladen, rissen Bücher aus den Regalen, warfen sie auf den Boden und ließen sie zertrampelt dort liegen. Drei Stunden später hatten sie genug von ihrem Zerstörungswerk. Gefunden hatten sie nichts.
    »Ich verlange, dass Sie mir sagen, wonach Sie suchen«, protestierte Candela, die Hände in die Hüften gestützt. »Ich habe einflussreiche Freunde. Das ist eine bodenlose Unverschämtheit, was Sie hier tun.«
    »Uns wurde gesagt, dass sich in diesem Haus ein gefährlicher Bandit versteckt hält«, antwortete einer der Soldaten und biss herzhaft in einen Apfel, den er aus einer Obstschale genommen hatte. »Ventura Marqués. Kennen Sie ihn?«
    »Sehen wir so aus, als pflegten wir Umgang mit Banditen?«, fragte Candela vorwurfsvoll.
    Zwei Wochen später rätselten die beiden Frauen immer noch, wer sie verraten hatte. Niemand außer ihnen wusste, dass Ventura hier war. Sie begannen zu befürchten, ein Mitglied seiner eigenen Bande könne ihn denunziert haben.
    Zum Glück war die Reise nicht vergeblich gewesen. Dank Candelas Beziehungen konnten sie
Las Jácaras
vor der Enteignung retten. Außerdem hatte Guiomar Ventura wiedergefunden, und alle Bedenken, die sich in der langen Zeit der Trennung aufgestaut hatten, lösten sich in Wohlgefallen auf. Als sie ihn davonreiten sah, empfand sie Trauer und Angst, doch tief in ihrem Herzen wusste sie, dass sie ganz ruhig sein konnte. Sie war sein Zuhause, das hatte er ihr versichert. Früher oder später würde er zu ihr zurückkommen. Und sie würde auf ihn warten.
    Während der Rückfahrt nach Sevilla vertiefte sich Guiomar in das schriftliche Vermächtnis, das Abel ihr hinterlassen hatte. Sie ahnte bereits, dass dieses
Buch ohne Namen
ihr Leben verändern würde.
    ***
    NIEMAND KONNTE SICH ERKLÄREN, wie der wildgewordene Pöbel in die Druckerei gekommen war. Monsieur Verdoux erzählte später, er habe im Patio gesessen und gelesen, als er Stimmen von der Straße hörte, die immer lauter wurden. Sie riefen Parolen, die er nicht verstand, weil es so hallte. Er gab nicht viel darauf; es waren schwierige Zeiten. Er las weiter, bis er laut und deutlich hörte, wie jemand schrie: »Tod den Franzosen!« Das Blut gefror ihm in den Adern.
    Dann hörte er das vertraute Quietschen, mit dem sich das Hoftor öffnete, und Sekunden später war er von einer wütenden Menge umzingelt, die heulte wie ein Rudel wildgewordener Wölfe. Sie starrten ihn mit blutunterlaufenen Augen an

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